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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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Keuchen
und Stöhnen mich führen. Sie gibt mir ihre Laute, ich gebe ihr meine
Berührungen. Und als sie unter meinen Händen zu zittern beginnt, dränge ich
mein Ohr an ihr heißes Stöhnen, damit mir kein Tropfen ihres Klangs entgeht.

XII.
    In jeder Woche war ich eine
Nacht lebendig.
    Ich betete, dass Karolines kranke
Tante nicht sterben würde, und meine Gebete wurden erhört, zumindest ein
glückseliges Jahr lang. Jeden Donnerstag entflohen Amalia und ich unseren
jeweiligen Gefängnissen, sobald es dunkel war. Ich war zur Stelle, um ihre Hand
zu nehmen und sie in unser Zimmer zu geleiten, nachdem ich ihr die Augenbinde
umgelegt hatte. Ulrich saß immer an seinem Tisch, den Kopf gesenkt, als
schliefe er. Ich wusste, dass er nicht schlief und dass er jedes Geräusch
hörte, das wir machten. Aber ich vergaß ihn bald, für mich gehörte er einfach
zum Inventar des Hauses wie eine Statue.
    An jenen Donnerstagen, an denen
Karoline auf ihren wöchentlichen Ausflug verzichten musste, weil Schnee lag
oder ein anderes Hindernis aufgetaucht war, hinterließ mir Amalia eine
Nachricht auf einem Fenstersims. Sie hatte mir einen Schlüssel gegeben, mit dem
ich in den Garten der Dufts gelangen und zum Haus schleichen konnte. Ich fürchtete
mich davor, meine Hand auf den kalten Sims aus Stein zu legen; mein Herz
schmerzte, wenn ich einen Zettel dort fand. Dann wanderte ich allein durch die
Straßen, auf der Jagd nach Geräuschen, die mich an sie erinnerten.
    In dem Dachzimmer lag ich neben ihr
auf dem Bett, und sie griff mir ans Ohr oder ins Haar, legte eine Hand auf
meine Wange oder meine Brust, als würde ich sonst entschweben. »Sing, Moses«,
bat sie, und obwohl ich vor Ulrich in ebendiesem Haus geschworen hatte, dass
ich es nie mehr tun würde, begann ich wieder zu singen. Was immer mir in den
Sinn kam: die Messen, die Ulrich mit mir geprobt und die ich für Frau Duft
gesungen hatte, oder die Gesänge der Mönche oder Nicolais Pastoralen (Amalia
lachte über meine eigenwillige Aussprache des Französischen) oder Bachs
Kantaten und Improvisationen aller dieser Stücke. Manchmal sang ich einfach
Noten, die sich auf nichts bezogen, nur auf Amalia und mich.
    Ich sah sie auf dem Rücken liegen, und
bei meinen ersten Tönen hob sie das Kinn, rollte die Zehen ein und bog ihre
Füße leicht nach außen, dann nach innen, dann wieder nach außen wie ein Geiger,
der an den Wirbeln dreht, um sein Instrument zu stimmen. Sie merkte nicht, dass
sie das tat, bis ich es ihr sagte, aber sie tat es unweigerlich. Es gefiel ihr.
    Dann schloss ich immer meine Augen.
Wir waren beide blind, wenn ich mein Ohr an jeden Zoll ihrer Haut legte, damit
ich hören konnte, was darunter klang. Ihr Körper war meine Glocke.
    Mehrmals versuchte sie, das
bandagengleiche Tuch zu entfernen, das mein Geheimnis hütete. Aber ich hielt
sie davon ab. Sie glaubte, ich wollte ihre Jungfräulichkeit bewahren (die sie
in keiner Weise bewachte). Ich hatte mit Sicherheit nichts dergleichen im Sinn.
Alle Rücksicht beruhte einzig und allein auf meiner Kastration. Es gibt
Gerüchte von Kastraten, die den Liebesakt noch ausüben können. Glaube nicht
daran. Wir werden zu früh operiert.
    Amalia war der erste Mensch, dem ich
von meiner Mutter erzählte. »Wir schliefen auf Stroh«, sagte ich eines Nachts
und suchte in ihrem Gesicht nach Zeichen des Abscheus. Ich fand keine. »Wir
aßen mit den Händen. Sie badete mich in einem Bach. Ich trug irgendwelche
Fetzen, die vorher die Unterwäsche eines Bauern gewesen waren.« Immer noch
schreckte sie nicht vor mir zurück. Sie lag neben mir und ließ einen Finger
über meinen Arm gleiten und kitzelte mich am Ellenbogen. »Amalia«, sagte ich.
»Bist du denn gar nicht erstaunt?«
    »Erstaunt?«, gab sie zurück. Sie legte
ihr Ohr auf meinen Arm, als lausche sie auf das Zittern meiner Muskeln. »Nein.«
    Mein Hals wurde heiß. Hatte sie immer
geglaubt, ich wäre ein schmutziger Bauer?
    »Weißt du«, sagte sie und küsste mein
Handgelenk, schmeckte es, »ich habe immer geglaubt, dass du so wärst wie diese
anderen Jungen, die Mönche werden wollen. Ich dachte, du hättest einen reichen,
gottesfürchtigen Vater, der wünschte, dass du genauso wirst wie der Abt. Aber
was du mir jetzt erzählst, erklärt natürlich, warum ich dich so mochte. Wenn du
mir gesagt hättest, dass du ein verwaister Bauernjunge bist, wäre ich vielleicht
nicht so gemein gewesen. Ich hätte dir mehr geholfen. Aber so habe ich einfach
geglaubt, du wärst

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