Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
meinem Fleisch suchen. Ich hörte, wie sich ihre Fasern allmählich
einstimmten, bis der schöne Körper wie eine Glocke im Himmel klang. Nur dann
überkam mich Glückseligkeit und ich war sicher, dass die Liebe, die wir
fühlten, wirklich war. Jeder Zweifel verschwand.
Aber im Sommer 1761, zwölf Jahre nach
meiner Ankunft in der Abtei, neun Jahre nach meiner Kastration, vier Jahre nach
Nicolais Verbannung und ein ganzes Jahr nach Amalias Erscheinen in meinem
Dachzimmer wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich verzehrte mich
vor Qual.
»Sein Name ist Anton Riecher«,
sagte sie eines Nachts, als wir im Bett lagen. Sie lag ausgestreckt auf dem
Rücken, und ihre linke Hand umklammerte mein Handgelenk. Ich presste meinen
Rücken an die Wand. »›Anton Josef Riecher‹, sagt Karoline immer, als wäre ein zweiter
Vorname von entscheidender Bedeutung. › Graf Sebastian Riechers ältester Sohn‹, teilt sie dann
allen mit, die ihr zuhören wollen, obwohl der Mann den Titel erst vor ein paar
Jahren gekauft hat. Hast du von ihm gehört?« Sie drückte mein Handgelenk.
Von den Komponisten abgesehen, deren
Musik Ulrich mir gebracht hatte, wusste ich nichts von irgendwelchen lebenden
Personen außerhalb Sankt Gallens. »Nein«, sagte ich.
»Vater korrespondiert schon seit
vielen Jahren mit ihm. Er ist in Wien, was mein Vater in Sankt Gallen ist – die
Kaiserin trägt Sebastian Riechers Tuch genauso wie die österreichischen Bauern.
Ich vermute, er ist sogar noch reicher als mein Vater, dieser Graf Riecher.
Wien ist schrecklich groß.« Da war ein Hauch von Herablassung, weil sie mehr
über wichtige Personen wusste als ich. In all unseren Nächten hatte es so etwas
noch nie gegeben. Sie machte eine großspurige Geste mit der Hand. »Ich frage
mich, wie sich der Sohn eines so reichen Mannes wohl verhält«, fuhr sie fort.
»Wie ein Prinz, würde ich denken. Jedenfalls werden wir es bald erfahren. Er
macht die ganze lange Reise, nur um mich kennenzulernen. Er müsste in ein paar Tagen hier
sein.«
Ich stellte mir Anton Riecher so
gutaussehend wie Nicolai, so stolz wie Staudach und so reich wie Willibald Duft
vor. Beim Zusammenschustern dieser großartigen Karikatur richtete sich mein
Interesse insbesondere auf seine Mitte, in der sich sein größter Vorteil mir gegenüber
befand.
»Vater und Karoline sind entschlossen,
dass ich ihn heiraten soll«, sagte Amalia. »Vater sagt, dass es natürlich meine
Entscheidung ist, dass seinen Geschäften aber nichts Besseres passieren könnte,
und Karoline sagt, eine solche Verbindung sei außerordentlich vorteilhaft. Sie
sagt, ich wäre verlobt , obwohl ich ihn noch nicht einmal kennengelernt habe. Sie haben ihm … sie
haben ihm von meinem Bein erzählt, und er schreibt, dass so etwas Triviales bei
der Wahl seiner Gattin keinen Ausschlag geben könne.«
Ich lag still. Es war, als hätte ich
einen Sturm kommen hören und nichts Besseres gewusst, als mich auf die Erde zu
legen und meinen Kopf zu bedecken.
»Moses?«, fragte sie. »Hast du mich
gehört?«
»Ja«, sagte ich.
»Er wird das ganze Riecher-Vermögen
erben, wenn sein Vater stirbt, genauso wie ich Duft
und Söhne erben werde, obwohl ich das
Unternehmen nicht leiten kann. Du siehst doch, wie sinnvoll das ist? Wir
könnten die größte Textilfamilie der Welt werden – zumindest außerhalb Englands
und vielleicht ein paar anderen Ländern. Wir würden nach Wien gehen, wo Kaiserin
Maria Theresia lebt. Ich würde dieser Stadt und diesem Gefängnis von einem Haus
entkommen. Ich würde die verdammte Karoline nie wieder sehen müssen. Ich könnte
alles tun, was ich will.«
An ihrem Nabel standen die winzigen
goldenen Härchen im Halbkreis in die Höhe und schimmerten im Kerzenschein, als
hätte ein kühler Wind sie aufgeweckt.
»Unsere Kinder müssten natürlich
Riechers sein, denn sie können keine Dufts werden.«
Ich versuchte, meine Atmung unter
Kontrolle zu bringen.
»Moses, hörst du überhaupt zu?« Sie
setzte sich auf und sah mich mit ihren verbundenen Augen an.
»Ja.«
»Warum sagst du dann nichts?«
Ich hatte das Gefühl, die Zeit hätte
sich verlangsamt und ich hätte eine Ewigkeit, um ihr zu antworten.
»Moses, was soll ich tun?«, fragte
sie.
»Heirate ihn«, sagte ich. Noch nie
hatten Worte so bitter geschmeckt.
Sie sagte lange Zeit nichts. Ihre Hand
lag an der roten Seide und sie schien sie wegziehen zu wollen. Ich gebot ihr
keinen Einhalt. Vielleicht spürte sie meine Schwäche, denn sie nahm
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