Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
schon«, schmollte sie nun, »einfach so klammheimlich und ohne deine Familie zu heiraten. Hast du denn nicht eine Sekunde lang an uns gedacht?«
»Nein«, gab ich wahrheitsgemäß zu. »Aber falls es dich tröstet: Du bist die Erste, die davon erfährt. Und versprich mir, dass du die Neuigkeit erst einmal für dich behältst.«
»Na hör mal, du kennst mich doch!«
»Eben.« Lili war als Geheimnisträgerin etwa genauso gut geeignet wie eine Klatschreporterin der Bildzeitung .
»Mach dir mal keine Sorgen, ich werde dir die Überraschung schon nicht verderben. Von mir erfährt niemand ein Sterbenswörtchen. Na, die werden bei deiner Rückkehr alle Augen machen.«
»Ja, ja, schon gut. Tut mir übrigens leid, wenn ich dich geweckt haben sollte.«
»Geweckt? Belinda, ich halte keinen Mittagsschlaf mehr, seit ich zwei bin! Hier in Deutschland ist helllichter Tag. Die Vögel zwitschern, die Sonne scheint …«
»Und warum bist du dann nicht an der Uni?«
»Weil ich sonst nicht mir dir telefonieren könnte.« Das klang logisch. Aber irgendetwas tief in meinem Inneren sagte mir, dass Lili meine angeschlagene Verfassung und meinen verwirrten Geisteszustand schamlos ausnutzte. Und da war noch etwas – ebenfalls tief in meinem Inneren –, das mir zu verstehen gab, dass es unbedingt rauswollte und ich das Telefonat lieber ganz fix beenden sollte.
»Lili, lass uns Schluss machen.«
»O. K., dann genieß mal die letzten Stunden deiner Flitterwochen und …«
Als Lili »und« sagte, begann ich schon zu würgen.
Die nächste Stunde verbrachte ich kniend vor der Kloschüssel und sandte, während ich mein Innerstes nach außen kehrte, konfuse Stoßgebete gen Himmel. In der einen Minute bat ich den lieben Gott, mich am Leben, und in der nächsten, mich sterben zu lassen. Doch der da oben war offenbar der Ansicht, dass ich einen Denkzettel verdient hatte, und unternahm gar nichts.
Die kleine Destillerie in meinem Inneren förderte enorme Mengen an Alkohol zutage. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wie das ganze Zeug in mich reingekommen war. Doch eins wusste ich ganz genau: So hatte ich mir meine Hochzeitsnacht in den kühnsten Träumen nicht vorgestellt.
Ich musste noch einmal eingenickt sein, denn als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, war es bereits hell. Durch die getönten Fenster des Hotels fiel gedämpftes Tageslicht ins Zimmer.
»Guten Morgen, Frau vom Hagen.« Ludger kraulte mir von hinten zärtlich den Nacken. Seine Stimme klang liebevoll neckend. »Na, wie fühlt man sich als frischgebackene Ehefrau?«
Nur meine gute Erziehung hielt mich davon ab, »zum Kotzen« zu antworten. Das wäre Ludger gegenüber unfair gewesen. Schließlich konnte er nichts dafür, dass mein Magen sowohl gegen die Cocktails als auch gegen die Blitzhochzeit rebellierte. Darum beließ ich es erst einmal bei einem unverbindlichen Murmeln.
»Du bist ja heute Morgen nicht besonders gesprächig. Schwelgst du noch in Erinnerungen?«, foppte mich Ludger zärtlich.
»Hmm.« Erinnerungen? Welche Erinnerungen? Ich wünschte, ich hätte welche!, versuchte ich, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.
»Weißt du, wir sollten uns unbedingt mal über vergangene Nacht unterhalten«, begann Ludger und fuhr mit den Fingerspitzen über meine Schulterblätter.
Endlich! Ein Silberstreifen am Horizont! Sicher würde er mir gleich sagen, dass wir in der vergangenen Nacht eine Riesendummheit begangen hatten, und wir konnten gemeinsam in aller Ruhe überlegen, wie sich das kleine Malheur aus der Welt schaffen ließe. Hey, wir befanden uns schließlich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, da konnte doch so eine klitzekleine Scheidung kein Problem sein. Bestimmt gab es irgendwo ein nettes, mit vielen bunten Lichtern geschmücktes Drive-in, wo man zu den traurigen Klängen von It’s All Over Now die Sache kurz und schmerzlos über die Bühne bringen konnte. Eine Scheidung und zwei Milchshakes zum Mitnehmen, bitte!
Moment mal, wieso eigentlich Scheidung? Ich wollte nicht mit knapp dreißig schon eine Secondhandware sein. Gut, heutzutage war das nichts Besonderes mehr. Wahrscheinlich gab es mittlerweile in Deutschland mehr geschiedene Menschen als ADAC-Mitglieder. Aber warum eine Scheidung, wenn es eine viel sauberere Lösung gab? Eine Annullierung!
Jeder Idiot, der unter Alkoholeinfluss einen Passanten umballerte, ein Auto klaute oder eine Bank überfiel, konnte auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Der Barkeeper bezeugte
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