Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
fest, dass mich von den ausgelassen feiernden Erstsemestlern nicht nur ein Jahrzehnt, sondern Welten trennten! Vermutlich hielten die meisten von ihnen Woodstock für Snoopys besten Freund und die IRA für eine Boygroup. Ich fühlte mich wie ein Bewohner von einem anderen Stern, der irgendwo in der Galaxie an einer Kreuzung falsch abgebogen und nur durch Zufall hier gelandet war.
Nicht einmal vor meinem Zimmer waren die Hausbesetzer zurückgeschreckt! »Und was soll ich jetzt machen?«, fragte ich Lili und wies auf ein heftig knutschendes Pärchen, das sich auf meinem Sofa wie zu Hause fühlte. Der Knilch hatte seine Zunge so tief in den Hals seiner Freundin gesteckt, als wollte er ihr die Mandeln entfernen.
»Du könntest Philipp ein bisschen Gesellschaft leisten«, schlug Lili vor.
Meine Schwester schien Gesellschaft mit Beistand zu verwechseln. Ich versuchte, in dem Pulk der Jugendlichen Philipp zu erspähen, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. »Wo ist er denn?«
Lili machte mit dem Daumen feixend ein Zeichen in Richtung Wohnungstür. »Hat sich in seinen eigenen vier Wänden verschanzt.«
Eine brillante Idee!
Ich schnappte mir eine angebrochene Flasche Rotwein, die auf dem Küchentisch stand. Auf den lautstarken Protest von Lilis Kommilitonen, die es gar nicht witzig fanden, dass ich ihnen den billigen Fusel entführen wollte, antwortete ich nur kurz und knapp: »Mundraub.« Morgen früh werden sie mir dankbar sein, dachte ich, von der Plörre bekommt man wahrscheinlich eh bloß Kopfschmerzen.
Bevor ich meine Wohnung – oder sagen wir: das, was davon übrig geblieben war – verließ, machte ich einen kurzen Abstecher zur Stereoanlage und drehte die Musik leiser. Netter Versuch.
Kaum hatte ich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss gezogen, wummerten die Bässe lauter denn je durchs Treppenhaus. Ich musste zweimal läuten, bevor Philipp reagierte und öffnete.
»Gewährst du mir Asyl, lieber Nachbar?«, bat ich lachend und schwenkte die Rotweinflasche. »Meine Wohnung wird von Vandalen belagert.«
»Klar, komm rein.« Philipp nahm mir die Jacke ab und dirigierte mich ins Wohnzimmer. »Mach’s dir gemütlich.«
»Wird gemacht.« Während Philipp in der Küche verschwand, um Gläser zu holen, schlüpfte ich aus meinen Schuhen und kuschelte mich mit angezogenen Beinen aufs Sofa. Endlich Feierabend! Ich begann mich zu entspannen. Ein Deckenfluter tauchte den mit hellen Weichholzmöbeln eingerichteten Raum in ein warmes, gemütliches Licht. Plötzlich fand ich es gar nicht mehr so schlimm, dass ich aus meinen eigenen vier Wänden vertrieben worden war. Ich fühlte mich hier in Philipps Wohnung sauwohl. Aus den Boxen der Stereoanlage erklang leise Saxophonmusik, und aus der Küche hörte ich das Klappern von Geschirr. Armer Philipp! Wahrscheinlich musste er erst noch spülen, weil er keine sauberen Gläser mehr hatte. Typisch Junggeselle.
Doch weit gefehlt! Wenig später zog mir ein köstlicher Duft in die Nase, und Philipp kehrte mit einem voll beladenen Tablett ins Wohnzimmer zurück. »Ich hab uns ’ne Kleinigkeit gebrutzelt. Bestimmt hast du heute noch nichts Vernünftiges gegessen.« Er drückte mir eine Gabel und einen Teller mit einem herrlich duftenden Omelett in die Hand.
Erst jetzt merkte ich, wie hungrig ich war. Hmm, köstlich! Das war das beste Omelett, das ich je in meinem Leben gegessen hatte. Ruck, zuck hatte ich alles bis auf den letzten Krümel verdrückt.
Philipp füllte die Weingläser. »Cheerio.« Wir stießen an.
»Schön, dass du vorbeigekommen bist. Auf die Weise haben wir endlich mal Zeit, um in Ruhe zu quatschen.«
»Stimmt.« Den leeren Teller auf den Knien balancierend, nippte ich an meinem Weinglas. »Warum bist du eigentlich nicht drüben auf Lilis Party?«
»Schätzungsweise aus dem gleichen Grund, der dich in meine bescheidene Hütte getrieben hat. Zu viele Youngsters auf einem Haufen – da komme ich mir vor wie ein versteinertes Fossil. Außerdem hatte ich Angst, dass ich Wahrheit oder Pflicht spielen muss.« Philipp grinste von einem Ohr zum anderen. »Oder Sackhüpfen. Darin war ich schon als kleiner Knirps auf Kindergeburtstagen ’ne Niete.«
»Kindergeburtstag? Ich dachte, der Altersunterschied macht dir nichts aus.«
»Warum sollte es mich auch stören, dass deine Schwester erst neunzehn ist? Ganz im Gegenteil, ich finde ihre Art erfrischend. In ihrer Gegenwart fühle ich mich selbst noch mal wie zwanzig.« Er feixte. »Aber nur ’ne halbe Stunde am
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