Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
immer noch nicht richtig in die Augen schauen konnte. Philipp, dem ich bis jetzt erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Die Absage der Fashion Academy, Jil und last but not least als Neueinsteiger der Woche: Ludgers Mutter, die gute Chancen hatte, in meinen persönlichen Problemcharts noch ein paar Plätze nach oben zu klettern. Außerdem war es schon immer mein Traum gewesen, wenigstens einmal in meinem Leben ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu reisen. Amerika – allein beim Klang dieses Namens lief mir vor Aufregung ein Schauer über den Rücken. Andererseits konnte ich so ein kostspieliges Geschenk doch unmöglich annehmen, oder?
Ich fühlte mich außerstande, das direkt zu entscheiden. »Sei mir nicht böse, Ludger, aber da muss ich erst noch mal drüber schlafen.«
Kapitel 21
S chlussendlich war es Lili, die mir die Entscheidung, ob ich die Reise ausschlagen sollte oder nicht, abnahm. Als ich von dem Besuch bei Ludgers Eltern nach Hause zurückkehrte, war ihre Zimmertür geschlossen. Das kam selten vor. Irgendwie hatte es sich bei uns so eingebürgert, dass immer alle Türen offen standen.
Ich kochte mir eine Kanne Tee und machte es mir mit einer Frauenzeitschrift am Küchentisch gemütlich. Ob ich Lili fragen sollte, ob sie eine Tasse mittrank? Nein, besser nicht. Wahrscheinlich wollte sie nicht gestört werden, weil sie gerade für die Uni büffelte. Obwohl ich mich gerne mit eigenen Augen davon überzeugt hätte – Lili beim Lernen zu beobachten war ein so seltenes, außergewöhnliches Ereignis wie eine Sonnenfinsternis –, widerstand ich dem Drang, an ihre Zimmertür zu klopfen.
Ich schlug die Zeitschrift auf. Doch an diesem Tag wollte es mir einfach nicht so recht gelingen, dem größten Frauenleiden – abgesehen von Männern – die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Anstatt mich mit meiner Cellulite auseinanderzusetzen, kreisten meine Gedanken um Ludgers Überraschung. Natürlich hatte ich Lust, mit ihm zu verreisen. Aber musste es gleich Amerika sein? Über ein Wochenende an der Mosel oder im Sauerland hätte ich mich auch gefreut. Irgendwie sträubte sich alles in mir, ein so teures Geschenk anzunehmen. Natürlich hätte ich die Reise auch selbst bezahlen können – wenn mir auf die Schnelle eine Erbschaft oder ein Lottogewinn ins Haus geflattert wäre. Ich vermutete, dass allein der Flug in die USA so viel wie ein zweiwöchiger Aufenthalt in meiner Lieblingspension auf Kreta kostete. Und meine eisernen Reserven für einen Urlaub anzutasten, kam beim besten Willen nicht infrage.
Plötzlich rissen mich merkwürdige Geräusche aus meinen Grübeleien. Was war das?! In diesem Haus entging einem aber wirklich nichts. Die Wände waren so dünn, dass sie allenfalls als Sichtschutz taugten.
Ich spitzte die Ohren. Nun war ich mir sicher: Die Laute kamen aus Lilis Zimmer. Was zuerst wie ein leises Seufzen geklungen hatte, steigerte sich nun zu einem rhythmischen Keuchen. Vielleicht war Lili heute mal nicht ins Fitnessstudio gegangen, sondern absolvierte ihr Aerobicprogramm zu Hause. Ach was, Blödsinn! Der begehbare Kleiderschrank, in dem Lili hauste und der die Bezeichnung Zimmer eigentlich gar nicht verdiente, war viel zu eng dafür! Die größte Bewegungsfreiheit bot mit Abstand noch das Bett.
Bett?! Moment mal! Sollte Lili etwa …? Eine Tür weiter? Mit Philipp?!?
Dann … dann … nun, dann konnte ich es auch nicht ändern. Rasch schloss ich die Küchentür und versuchte, mich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. Beispielsweise auf die Frage, ob ich ein Frühlings-, Sommer-, Herbst- oder Wintertyp war. Offenbar spielte das bei der Auswahl der richtigen Garderobe eine ganz entscheidende Rolle. Um herauszufinden, zu welchem Typ man gehörte, musste man lediglich ein paar Fragen beantworten. Ich zückte einen Kugelschreiber und machte mich an die Arbeit.
Welche Haarfarbe haben Sie? Das war leicht. Ich setzte mein erstes Kreuzchen bei »brünett«.
Das Keuchen wurde lauter.
Wie, bitte schön, sollte ich mir gleichzeitig mit den Händen die Ohren zuhalten, meine Teetasse zum Mund führen und dabei auch noch den Kugelschreiber halten? Ein ziemlich schwieriges Unterfangen, das viel akrobatisches Geschick erforderte. Statt im Mund landete der heiße Tee schließlich auf der Hose. Autsch!
Gott sei Dank verebbte in diesem Moment das Stöhnen. Noch ein, zwei gedämpfte Seufzer, dann war Ruhe. Überrascht horchte ich auf. Kam da nichts mehr? Nach dem lautstarken Intro
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