Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
hatte ich gegen Ende ein bisschen mehr erwartet. Forte, wenn nicht gar fortissimo. Doch das große Finale mit dem Paukenschlag war ausgeblieben. Welch göttliche Stille! Ich begann, mich zu entspannen. Zu früh, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Ein kurzes Rumpeln, ein leises Quietschen, dann wurde ich erneut mit lüsternen Jauchz- und Seufzlauten beschallt. Offenbar hatten die beiden Akteure lediglich die Stellung gewechselt und setzten ihr wildes Treiben nun unvermindert heftig und in der gleichen Lautstärke fort.
Während man sich nebenan so profanen, oberflächlichen Vergnügungen hingab, drang ich tief in die Geheimnisse der Typberatung ein. Nachdem ich die Frage nach Sommersprossen wahrheitsgemäß mit einem Nein beantwortet hatte, galt es, den Teint genauer zu bestimmen. Hier gab es eine ganze Reihe von Varianten. Den Schneewittchenlook, blasse Porzellanhaut mit bläulichem Unterton, schloss ich von vornherein aus. Meiner Ansicht nach war diese Hauttönung weniger ein Fall für die Typberatung als für die Notfallambulanz. Aber gut, die perfekte Frau von heute will ja bekanntlich in allen Lebenslagen gut aussehen. Unschlüssig nagte ich auf meinem Kugelschreiber herum. Ich war mir nicht sicher und schwankte, ob ich den olivfarbenen oder den goldenen Teint wählen sollte.
Himmel, wie sollte ich bei dieser Geräuschkulisse einen klaren Gedanken fassen? Ignorieren, einfach ignorieren, ermahnte ich mich und kontrollierte noch einmal so gewissenhaft alle Ankreuzmöglichkeiten, als handele es sich um den letzten Sicherheitscheck vor dem Start eines Spaceshuttles. Ich konzentrierte mich, konzentrierte mich, konzentrierte mich … auf die zweistimmigen Lustgesänge, die durch Lilis Zimmertür drangen.
So geht das nicht!, beschloss ich dann. Völlig entnervt angelte ich eine Zewa-Rolle vom Regal, rupfte zwei kleine Stücke Papier ab, knäulte sie zusammen und stopfte sie mir in die Ohren. Na bitte, Not macht erfinderisch. Manchmal brauchte man lediglich ein bisschen Fantasie – und die hatte ich. Und zwar mehr, als mir lieb war. Denn nachdem der Ton dank der Zewa-Kügelchen nun abgestellt war, lief in meinem Kopf ein Stummfilm ab, der auch ohne akustische Untermalung alles andere als jugendfrei war.
Das hielt ja kein normaler Mensch aus! Am liebsten wäre ich in Lilis Zimmer gestürmt und hätte Philipp die Gurgel umgedreht. Hatte der Kerl überhaupt keine Skrupel? Musste er sich ausgerechnet in meiner Wohnung mit Lili vergnügen? Irgendwie fand ich das reichlich geschmacklos.
Ich nahm mir vor, schnellstens ein ernstes Wörtchen mit Lili zu reden und sie freundlich, aber bestimmt über ein paar neue WG-Regeln in Kenntnis zu setzen. Regel 1: Männerbesuch ist untersagt. Regel 2: Falls Regel Nummer 1 – aus welchen Gründen auch immer – missachtet wird, ist der Geschlechtsverkehr geräuschlos zu vollziehen. Oder ging das zu weit? Verletzte ich damit Lilis Intimsphäre? Aber was war mit meiner Intimsphäre? Auf mich nahm schließlich auch niemand Rücksicht.
Das waren wirklich tolle Aussichten! Mein Urlaub stand vor der Tür. Mich drei Wochen lang in der Küche zu verschanzen, war das Letzte, worauf ich Lust hatte. Ich griff zum Telefon und wählte Ludgers Nummer. »Ich fliege mit nach Amerika«, teilte ich ihm kurz und knapp mit, nachdem er an den Apparat gegangen war. »Unter einer Bedingung: Die Hotelkosten übernehme ich selbst.«
Meine Reisevorbereitungen liefen auf Hochtouren. Da ich mir nicht sicher war, ob mich die Amis mit nur zwei frischen Unterhosen im Gepäck einreisen lassen würden – irgendeine Hygienevorschrift verbot das bestimmt –, blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf unsicheres Terrain vorzuwagen. Es wurde ohnehin allerhöchste Zeit, dass ich dem Waschkeller mal wieder einen Besuch abstattete. Die Wäschetonne im Badezimmer quoll schon über. Ich bückte mich, um ein Kleidungsstück, das hinter den Behälter gefallen war, hervorzuziehen.
Nanu, das T-Shirt kannte ich ja gar nicht. Ein schlichtes schwarzes Baumwollshirt mit einem Nike-Emblem auf der Brust. Gehörte das Lili? Ich schnupperte daran und ließ das Shirt dann wie eine heiße Kartoffel auf die Badezimmerfliesen fallen. Wenn der Stoff nach Schweiß, Zigarettenqualm oder altem Fett gestunken hätte – kein Problem. Aber dieser Geruch ließ meinen Magen rebellieren. Das T-Shirt war nicht von Lili, es war von Philipp!
Mit zitternden Fingern schnappte ich mir den Wäschekorb, riss die Wohnungstür auf und prallte
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