Der Kater läßt das Mausen nicht
Statussymbol gewesen.
Der schwere Knauf gab ihm allerdings zu
denken. Zu denken gab ihm außerdem, daß er nicht schon viel früher darauf
gekommen war, das zu tun, was er längst hätte tun müssen, bevor er sich mit
irgendwelchen verstellbaren Lehnsesseln befaßte. Plötzlich kam er sich wie ein
richtiger Idiot vor. »Mrs. Lomax«, fragte er, »könnte ich vielleicht Ihr
Telefon benutzen?«
»Warum benutzen Sie nicht das von
Professor Ungley?« antwortete sie, wobei sie möglicherweise an ihren sauberen
Küchenboden dachte.
Warum eigentlich nicht? Es war
unwahrscheinlich, daß der inzwischen immer realer werdende Eindringling das
Telefon benutzt hatte, um mit einem Kumpel zu plaudern. Falls er es doch getan
hatte, war er bestimmt vorsichtig genug gewesen, nicht überall seine
Fingerabdrücke zurückzulassen, denn es war ihm ja immerhin auch gelungen, das
Haus zu betreten und zu verlassen, ohne Mrs. Lomax geweckt zu haben und ohne
über Edmund zu stolpern. Shandy griff nach dem Telefon auf Ungleys Schreibtisch
und rief Harry Goulson an.
»Goulson? Hier spricht Peter Shandy.
Haben Sie schon mit den ptolomäischen Riten an Professor Ungleys Leiche
begonnen? Dann warten Sie besser noch ein bißchen. Ich möchte nämlich zuerst
noch einen Blick auf sie werfen. Ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen. Und — eh
— ich sage nur eins: Grabesschweigen ist die Losung!«
Mrs. Lomax sah ihn verwundert an, er
wurde verlegen, aber jetzt war es bereits zu spät. Er legte den Hörer wieder
auf die Gabel und setzte eine geschäftige Miene auf. »Wo ist denn eigentlich
der Aktenschrank, den Sie eben erwähnt haben?«
»Direkt hier, hinter dem Schreibtisch.«
»Ach ja, der Schreibtisch. Vielleicht
könnten wir uns den auch noch kurz ansehen, wo wir einmal dabei sind.«
An diesem Platz hatte Ungley angeblich
unzählige Stunden im Kampf mit der Geschichte von Balaclava County verbracht,
an der er laut eigenen Angaben seit einem Vierteljahrhundert gearbeitet hatte.
Die Notizen, die Shandy in die Hände fielen, reichten jedoch nur bis 1832, ein
Jahr, in dem sich offenbar so gut wie überhaupt nichts Wichtiges ereignet
hatte.
Die Schubladen waren nicht verschlossen
und enthielten nur Unwesentliches: Schreibpapier von der Balaclava Society, das
an den Ecken bereits Vergilbt war, diverse Bleistiftstummel und kleine,
verkrustete Fläschchen mit eingetrockneter Tinte, Notizen für Vorlesungen, die
jedoch, da war sich Shandy sicher, seit der plötzlichen Emeritierung Professor
Ungleys durch Thorkjeld Svenson bei dessen Amtsantritt im Jahre 1952 nicht am
College gehalten worden waren. Auch das Programm der Semesteranfangsfeier aus
demselben Jahr, bei der man Ungley besonders geehrt hatte, war darunter.
Svenson hatte eben ein Herz, dessen Größe der Größe seiner Füße in nichts
nachstand, und er ließ keine Köpfe rollen, ohne nicht gleichzeitig ein paar
Gewissensbisse zu haben.
Er fand noch zahlreiche andere Dinge,
allerdings keineswegs das Durcheinander, wie man es normalerweise in
Schreibtischschubladen an trifft. Mrs. Lomax hatte recht gehabt mit Ungleys
pedantischer Ader. Ein Mensch, der die Geduld aufbrachte, 48 Büroklammern in
ihrer Packung fein säuberlich nebeneinander in Sechserreihen auf Laschen zu
ordnen, konnte es sicherlich nicht übers Herz bringen, die Sofakissen
verrutscht zu hinterlassen.
Shandy drehte den Schreibtischstuhl so
herum, daß er dem Aktenschrank gegenüberstand.
»Ich hoffe bloß, daß Sie den
aufkriegen«, meinte Mrs. Lomax. »Mit dem war der Professor noch pingeliger als
mit allem anderen. Ich durfte den Aktenschrank kaum staubwischen, die
Schubladen blieben immer verschlossen. Fred Ottermole hat die Schlüssel unten
im Polizeirevier. Sollten wir nicht vielleicht besser hingehen und ihn danach
fragen?«
»Nur wenn Ihnen ein weiterer kleiner
Einbruch etwas ausmacht«, sagte Shandy und nahm sein Mehrzweckmesser heraus.
»Ist mir völlig egal, was Sie mit dem
Ding da machen, solange Sie nicht erwarten, daß ich mir einen Vortrag darüber
anhöre.«
»Das fiele mir nicht im Traum ein; aber
sind Sie bitte so nett und geben mir die Lupe? Sie liegt auf dem Schreibtisch.
Bevor ich mich an dieses Schloß wage, möchte ich sichergehen, daß es hier keine
frischen Schrammen oder Kerben gibt.«
»Warum sollte es?« fragte Mrs. Lomax
und sah Shandy über die Schulter, während er die Messingbeschläge auf den
lackierten Eichenschubladen genau unter die Lupe nahm.
»Die gäbe es mit ziemlicher
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