Der katholische Bulle: Roman (German Edition)
Personen. Sechs Menschen, die versuchten, der irren Welt ein Stück Normalität abzuringen. Bei lebendigem Leibe verbrannt.
Tiocfadh ar la. Es lebe die Revolution. Unser Tag wird kommen.
Ich fragte mich, warum sich jemand ausgerechnet dieses Ziel ausgesucht hatte? Vielleicht hatten sie kein Schutzgeld gezahlt? Vielleicht hatten sie, aber der Schuppen war gerade voll gewesen mit der High Society von Belfast, und die Versuchung war einfach zu groß gewesen. Und dann war da noch der ganze Aufwand mit dem Ölfass: Es erforderte sorgfältige Planung und möglicherweise einen Komplizen im Lokal, um das richtig zu platzieren …
Ich seufzte; alles Fragen für ein anderes Ermittlerteam. Ich hatte meine eigenen Sorgen. Das Laken war von Lauras Rücken gerutscht. Ich sah ihre langen Beine, die sie bis unter die Brüste hochgezogen hatte. Ich deckte sie zu, stand auf, zog Jeans und Pullover über. Ich kleidete mich an, schnappte mir Lauras Schlüssel von der Kommode und ging hinaus, um eine zu rauchen.
Wasser. Spiegelungen. Bleistiftdünne Lichtstrahlen.
Die Stille um drei Uhr früh. Schüsse ab und an. Hubschrauber.
Ich sah, was niemand sonst wahrhaben wollte. Das hier war die Götterdämmerung . Dies war der ideale Zeitpunkt für diejenigen, die übers Gras laufen, sich dem Irrationalen hingeben, die Dunkelheit umarmen wollten.
Ich ging zum Hafen.
Irgendwo tief in mir hörte ich Musik. Nicht Puccini. Schuberts Klaviertrio in e-Moll. Opus 100. Der vierte Satz, in dem das Piano die Melodie führt …
Ich warf einen Blick zu Lauras Wohnung hinüber. Dann ließ ich ihn über die schlafende Stadt schweifen.
Der Neonglanz der Straßenlaternen und Suchscheinwerfer.
Du bist auch hier draußen, mein Freund, richtig? Du bist wach und denkst an mich: Haben die Bullen die Nachricht bekommen? Wissen die, was sie erwartet?
Wir wissen es.
Ich weiß es.
Dann ging ich zur Wohnung zurück. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss. Leise.
Flur.
Leise.
Schlafzimmer.
Leise.
»Wo bist du ge…«
»Schsch. Schlaf.«
»Schlaf?«
»Ja. Schlaf.«
Ich legte mich neben sie, und wir bewegten uns von einem Traum zu einem anderen …
4
BONEYBEFORE
Ich roch Kaffee. Laura räusperte sich. Ich schlug die Augen auf und sah sie an. Sie trug mein Hemd, keinen Schlüpfer, und hielt einen Becher Nescafé in der Hand. Sie lächelte, sah aber nicht glücklich aus. Ich beneidete sie nicht um die Aufgabe, die heute in diesem schrecklichen Leichenschauhaus in Belfast auf sie wartete.
»Danke«, sagte ich und nahm den Kaffeebecher.
»Ich wusste nicht, wie du ihn magst, ich hab ihn mit Milch und zwei Stück Zucker gemacht.«
»Prima.«
»Möchtest du frühstücken?«
»Wenn du was hast.«
»Es ist schon fertig, komm einfach ins Wohnzimmer.«
»Okay«, sagte ich.
Sie zog mein Hemd aus und legte es aufs Bett.
»Und beeil dich«, sagte sie noch und ging rüber.
Ich bewunderte ihre kleinen Brüste, den sportlichen, anziehenden Körperbau und den kessen Hintern. Sie wirkte wie eins dieser Mädchen, die man irgendwo auf dem Land hätte treffen können, man selber auf einem Fahrrad, von oben bis unten lehmverdreckt, und sie trottet auf einem mächtigen kastanienbraunen Jagdpferd vorbei. Mir gefiel das Bild. Und mir gefiel sie. Aber es war offenkundig, dass sie mich loswerden wollte. Sie wollte, dass ich mich anzog, aß und verschwand.
Ich zog mich an und folgte ihr ins Wohnzimmer. Bei Tageslicht sah die Wohnung richtig gut aus. Sehr schick: unscharfe Schwarzweißfotos, pastellfarbene Vorhänge, deutsche Möbelund eine kitschige Kitty-Cat-Lampe (zumindest hoffte ich, dass auch sie sie kitschig fand). Durch das große Fenster sah man hinaus auf den Hafen und die Burg aus dem 12. Jahrhundert.
Laura hatte Porridge und Ulster Fry gemacht. Mein Porridge daheim kam aus der Packung, Lauras war zwanzig Minuten lang langsam mit Milch, Salz und braunem Zucker gekocht worden und so dick, dass der Löffel darin stecken blieb. Es war verteufelt gut. Auch das Ulster Fry war gut und heiß: Würstchen, Eier, Speck, Soda- und Kartoffelbrot. Damit würde ich es wohl bis zum Mittagessen oder bis zum Herzinfarkt schaffen – was auch immer zuerst kam.
Ärztin, sah gut aus und kochte auch noch gut. Ein echter Fang.
»Wie lautet denn deine private Telefonnummer?«, fragte ich sie, als ich mich über den letzten Rest Ei hermachte.
»Ach, die wirst du nicht brauchen. Das machen wir nicht wieder.«
Ich sah mich nach einem Kind um, aber es gab keins. Sie meinte es
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