Der katholische Bulle: Roman (German Edition)
voran.
Brennan kehrte von der Hochzeit zurück und verlangte Fortschritte, aber wir konnten ihm nichts bieten. Er ging in sein Büro und zog sich um.
Ich hatte gerade mein Gespräch mit Andrew Youngs Chef beendet, der jegliche Kenntnis von Youngs Homosexualität leugnete (was vernünftig war, denn sonst hätte er nach Abschnitt 11 des 1885 erlassenen Paragraphen, der Homosexualität als »schwerwiegendes Sittlichkeitsvergehen« betrachtete, als Helfershelfer angeklagt werden können), als ein inzwischen uniformierter Brennan mir seine Pranke auf die Schulter legte und sich auf meinen Schreibtisch setzte.
»Kennen Sie Lucy Moore?«, fragte er.
»Nein.«
»Wie lange sind Sie jetzt schon hier, Sean?«
»Fast einen Monat, Sir.«
»Lucy O’Neill war ihr Mädchenname. Republikaner, die O’Neills. Riesenfische hier in der Gegend. Ziemlich wohlhabende Katholiken. Ihr Dad ist Anwalt, setzt sich für die Menschenrechte ein, ihre Ma ist bei Trocaire – dieser großen katholischen Wohltätigkeitsorganisation – ein hohes Tier. Klingelt da was?«
»Tut mir leid, Sir.«
»Die beiden sind dem Papst vorgestellt worden, als er 1979 hier in Irland war. Na, kommen Sie, Sie wissen doch, von wem ich rede.«
Brennan hatte die unglückselige Angewohnheit zu glauben, dass alle Katholiken zur selben Zeit in dieselbe Kapelle zur selben Messe gingen.
»Nein.«
»Na ja, egal, jedenfalls ist Lucys Ehemann Seamus letztes Jahr wegen Waffenbesitz im Maze-Gefängnis gelandet, und aus dem einen oder anderen Grund haben sie sich scheiden lassen.«
»Er ist bei der IRA?«
»Natürlich.«
»Denen gefällt es nicht sonderlich, wenn sich ihre Frauen scheiden lassen, während sie einsitzen.«
»Nein, theoretisch nicht. Offenbar aber hat es Seamus Moore nicht sonderlich viel ausgemacht, weil er selbst eine Nebenfrau hat. Mehr als eine.«
»Ich verstehe.«
»Na ja, jetzt sind sie jedenfalls geschieden. Er hat seine Zeit fast abgesessen. Sie ist wieder zu ihren Eltern gezogen,alles gut soweit – bis letzten Heiligabend. Seitdem wird sie vermisst. Die Familie hat sie nicht finden können, also haben sie ihre Fühler in der Gemeinde ausgestreckt, und als das nichts brachte, haben sie uns angerufen.«
»Seamus hat sie aus dem Knast heraus umbringen lassen?«
»Nein, nein, nichts dergleichen. Seamus hat für so etwas nicht die Macht. Er ist nur ein kleiner Fisch. Sie ist einfach verschwunden. Es ist Weihnachtszeit, wir haben nicht genügend Leute, also habe ich die Ermittlungen selbst übernommen.«
»Sie?«, fragte ich ein wenig überrascht.
»Ein Präzedenzfall. Es gehört zu meinen Aufgaben zu zeigen, dass wir die Polizei für beide Seiten in Carrickfergus sind. Für Protestanten und Katholiken. Also ja, ich habe die Untersuchung geleitet, ich habe Matty und McCrabban gescheucht, ich habe alles Erdenkliche unternommen, aber wir haben sie nicht gefunden.«
»Was war denn passiert?«
»Heiligabend. Bahnstation Barn Halt. Sie hat auf den Zug aus Belfast gewartet und hat sich einfach in Luft aufgelöst.«
»Wusch? Weg? Einfach so?«
»Wusch. Weg. Einfach so. Ich war ziemlich sauer, dass wir keine Spur von ihr finden konnten. Im Januar dann bekam die Familie auf einmal Briefe und Postkarten von ihr, dass es ihr gutginge und sie sich keine Sorgen machen sollten.«
»Die Briefe waren echt?«
»Aye. Wir haben die Handschrift analysieren lassen.«
»Und wo waren sie abgestempelt worden?«
»Jenseits der Grenze. Republik Irland: Cork, Dublin, überall.«
»Also, sie ist weggelaufen. Rätsel gelöst. Passiert andauernd. Kein Happy End, aber auch keine Tragödie.«
»Hab ich auch gedacht«, seufzte Brennan. »So habe ich esMrs O’Neill gesagt. ›Keine Sorge, sie ist weggelaufen, hab ich schon tausend Mal erlebt. Es wird ihr gutgehen.‹«
Brennan stand auf, ging ans Fenster und lehnte die Stirn an die Glasscheibe, drückte seinen großen, grau werdenden Wikingerschopf daran platt. Plötzlich wirkte er sehr alt.
»Was ist denn?«, fragte ich.
»Man hat sie gefunden.«
»Tot?«
»Schnappen Sie sich Ihr Team, nehmen Sie einen Land Rover und fahren Sie in den Woodburn Forest. Dort treffen Sie den Ranger, einen Kerl namens De Sloot«, murmelte er.
»Ja, Sir.«
Zehn Minuten später waren wir auf dem Land. Wellige Hügel, kleine Farmen, Kühe, Schafe, Pferde – eine ganz andere Welt als die der Unruhen.
Nach weiteren zehn Minuten waren wir im Woodburn Forest, einem kleinen dichten Waldgebiet, umgeben von Schonungen mit jungen
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