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Der katholische Bulle: Roman (German Edition)

Der katholische Bulle: Roman (German Edition)

Titel: Der katholische Bulle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian McKinty
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der Slogan: »Denkt an die loyalistischen Gefangenen, Carrickfergus UDA.« Die konnte man gar nicht vergessen, weil die UDA für sie in allen Pubs und Supermärkten der Gegend »sammelte«.
    Coronation Road. Mein kleines Universum. Die aus roten Ziegeln errichteten Reihenhauszeilen erstreckten sich über eine halbe Meile zu beiden Seiten der Straße; inzwischen kannte ich von recht vielen dieser Häuser auch die Anwohner: Jack Irwin arbeitete in der Zoohandlung; Jimmy Dooey war bei Shorts Aircraft; Bobby Dummigan, arbeitslos; die Agnews, neun Kinder, Dad arbeitslos; Witwe McSeward, ihr Mann war auf See geblieben; Alan Grimes, Rentner, ehemaliger Schlosser, war Kriegsgefangener bei den Japanern gewesen; Alex McFerrin, arbeitslos; Jackie Walter, arbeitslos …
    Ich ging weiter. Coronation Road, Barn Road, dann zur Taylor’s Avenue. Ich ging auf die Weide hinaus, wo wir das erste Mordopfer gefunden hatten. Ich besah mir den Tatort zehn Minuten lang, aber die Muse der Fahndung segnete mich nicht mit neuen Eingebungen.
    Dann kehrte ich zur Taylor’s Avenue zurück, kam am Carrick Hospital vorbei und folgte einem Schild zum Barn Halt, wo Lucy Moore verschwunden war. Eigentlich ging mich das gar nichts an. Einen Selbstmord zu untersuchen war ein Luxus, den wir uns angesichts eines offenkundigen Ripper-Trittbrettfahrers oder eines Irren da draußen nicht leisten konnten. Aber was sonst tat ich hier?
    Barn Halt war eigentlich keine Bahnstation, nur zwei Unterstände aus roten Ziegeln – einer für die Bahn Richtung Larne, einer für die Richtung Belfast. Die Unterstände waren winzig; an einem regnerischen Tag passten keine zehn Leute hinein. Der auf dieser Seite der Gleise stank nach Pisse und war mit den üblichen Graffitis beschmiert.
    Es gab eine stählerne Fußgängerbrücke, die beide Seiten verband, doch um diese Nachtzeit konnte man ungefährdet über die Gleise laufen. Ich stieg runter auf die Schwellen und am anderen Bahnsteig wieder hinauf.
    Der Unterstand war ebenso verstunken und ebenso beschmiert.
    Lucy hätte auf der Belfaster Seite gestanden, also wechselte ich zurück auf die andere Seite und ging den kleinen Bahnsteig entlang.
    Warum hatte niemand gesehen, wie Lucy einstieg? War sie überhaupt eingestiegen? Wenn nicht, was hatte sie dann getan? War sie zurück zur Taylor’s Avenue gegangen? Hatte sie die Überführung genommen?
    Ich ging zum südlichen Ende des Bahnsteigs, wo eine eins achtzig hohe Mauer die Leute daran hinderte, zur Elizabeth Avenue hinauszuklettern. Hier konnte Lucy nicht rausgekommen sein, und das andere Ende ging auf eine steile, gut einsehbare Eisenbahnböschung hinaus, wo man sie sicher gesehen hätte.
    Ihre Mutter hält nach ihr Ausschau, aber sieht sie nicht? Wo ist sie?, fragte ich mich selbst. Der Typ im Auto sieht sie ein, zwei Minuten vor Eintreffen des Zuges. Wohin konnte sie innerhalb von einer Minute verschwinden? Nicht zurück auf die Taylor’s Avenue. Der Fahrer hätte sie gesehen. Nicht auf die Überführung, dann hätten sie die Passagiere gesehen, die am Barn Halt ausgestiegen waren. Nicht über die Gleise, da stand ja ein Zug im Weg. An einem Ende des Bahnsteigs ist eine Mauer, am anderen eine Böschung … Hat sie sich im Unterstand versteckt? Und warum?
    Der Regen prallte vom Beton ab. Ich schlug den Mantelkragen hoch und stellte mich in den Unterstand. Dann zündete ich mir eine Zigarette an und lehnte mich an die Wand.
    Natürlich war viel los gewesen, es war der Tag vor Weihnachten. Die Leute hatten ihre eigenen Sorgen gehabt. Vielleicht konnte man unbemerkt ein- und aussteigen. Die allgemeine Öffentlichkeit war berüchtigt dafür, einen im Stich zu lassen, wenn man mal einen Augenzeugen brauchte.
    Gerade als der Zug zur Fähre in Stranraer um vier Uhr dreißig vorbeirauschte, drückte ich die Zigarette aus; ein Expresszug aus Belfast nach Larne, der sich ordentlich beeilte. Die vier Wagen waren gesteckt voll, und ich sah in die kurz aufblitzenden glücklichen Gesichter der Menschen, die Nordirland verließen, vielleicht für immer.
    »Ach, das bringt alles nichts«, murmelte ich, aber an den anderen Fall wollte ich auch nicht denken, denn der stank ebenso zum Himmel. Einfach zu schaurig für Ulster. Der Chef hatte recht – in dieser Gegend gab es einfach keine Serienmörder. Selbst die Shankill Butchers hatten zumindest so viel Verstand gehabt, sich erst den protestantischen Paras anzuschließen, bevor sie auf ihre mörderischen Touren gingen, bei denen sie

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