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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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sind sie unterwegs gewesen. F sagt, Gott stand uns nicht bei, und bekreuzigt sich. Er weint. Ein gebrochener Mann. Es schmerzt mich, das mit ansehen zu müssen.
    Sie hatten unterwegs sintflutartige Regenfälle, manchmal sogar Schnee, unpassierbare Wege, erst ein gebrochenes Rad, später eine gebrochene Achse und stets diese feuchte Kälte. Als sie gestern durch unser Holsten Tor fuhren, lahmten die Pferde.
    T hat eine Lungenentzündung und fiebert, sie hustet und ist entkräftet. Es ist so elendig anzusehen. F hat binnen weniger Monate beide Söhne verloren.
    Die Familie hat nur die Wäsche mitgebracht. Js hölzerne Koffertruhe, in der einst ihre Aussteuer war. JME Anno 1745 steht in getriebenen Buchstaben darauf und erinnert an gute Zeiten. Die andere ist die alte Koffertruhe unserer Familie, die bei Feuer als Erstes in Sicherheit gebracht werden musste. Als Kind mochte ich die reich verzierten Eisenbänder so gern und klapperte mit den beweglichen Seitengriffen bis unsere Frau Mutter schimpfte.
    All ihr anderes Hab und Gut haben sie in L gelassen. Zur Gänze. Heute Morgen lieh sich J von mir einen Handspiegel und sagte, ihr silberner sei mit dem anderen Hausrat gepfändet worden. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Ihre Augen sind immer gerötet, die Haut ist rau und die Lippen rissig. Mit nur drei Kämmchen hat sie sich ihre Haare hochgesteckt. Sie scheint keinen Schmuck mehr zu besitzen und kann sich nicht putzen. Auch ihren zauberhaften Perlmutt-Fächer hat sie nicht mehr. Es ist so entsetzlich!
    Wenn ich nur wüßte, was ihnen widerfahren ist!
    KM, 18ter Oktober 1765

    Stadtarchiv Lübeck, C 2754, Fragment, Folio 2 70
    Mir steigen die Tränen in die Augen, wenn ich bedenke, was in Lippstadt alles geschehen ist. Man habe ihm alles abgenötigt, wegen einer leidigen Angelegenheit, sagt F und geht täglich in die Kirche, um zu beten. Er müße es tun, obwohl Gott ihm nicht helfen könne. ›Für meine Schuld gibt es keine Strafe‹, sagt er immerzu. Doch wenn ich ihn ansehe, erkenne ich, daß er seine Strafe bereits erhalten hat. Die Kleine wurde vor drei Tagen auf dem St.-Lorenz-Friedhof begraben. Als wir am Pestkreuz vorbei gingen, brach F zusammen. ›Mein Kind auf einem Armenfriedhof! Was ist nur aus uns geworden?‹ klagte er. Und immerzu hat er Zahnweh, immer dieses Zahnweh! Die Qual wird ihn dahinraffen.
    J liegt nur im Bett, sie ißt nicht, sie trinkt nicht. Lissi kommt jeden Tag. Sie fühlt sich verantwortlich und tut, was sie kann. Manchmal streitet sie mit ihrem Vater, wer die Schuld trägt, und am Ende sitzen beide weinend in der guten Stube. Doch am schlimmsten trifft es die Unschuldigen; die Kleine hat das Fieber dahin gerafft, J verhungert bei gefüllter Speisekammer und auch Lissis Sohn hat seit seiner Geburt eine schwache Lunge – und das bei unserer guten Luft!
    KM, 10ter November 1765

    »Wie gesagt, wir können es keiner Familie zuordnen. Leider. Genau das hat die Dame wohl bezwecken wollen«, erklärt der Archivar. »Zum Glück, so könnte man sagen, ist ihr ein Fehler unterlaufen, einmal hat sie Lippstadt ausgeschrieben.«
    »Das F passt. Ferdinand. – Overkamp. FO. Nicht KM. … KM. … KM. Katharina Matthiesen! Genau«, fällt Oliver ein.
    »Wie kommen Sie denn darauf? Die Matthiesens gehörten zu den einflussreichsten Kaufleuten in Lübeck, wie später die Niederegger. Sie wissen schon, die mit dem Marzipan. Auch heute gibt es noch Matthiesens in der Stadt. Ist nicht einer sogar der Vorstandsvorsitzende dieser Stiftung … ich komme jetzt nicht drauf. Scheint mir auch unwichtig zu sein. Zumindest, was Ihr Vorhaben anbelangt. – Die Matthiesens haben auch heute noch Einfluss in der Stadt; sie sind bekannt wie das Holsten Tor.«
    Oliver zieht den Original-Brief von Ferdinand Overkamp an seine Schwester aus einer Kladde und reicht diesen dem Archivar.
    »Wo haben Sie den denn her?«, fragt dieser überrascht. »Ein kostbares Stück. Wunderbar. Und so gut erhalten. Die Tinte ist ordentlich, man kann es noch gut lesen.«
    »Na ja, mal abgesehen von der Handschrift«, räumt Oliver ein. »Der Brief stammt aus dem Sekretär meiner Oma und ist hier transkribiert worden. Meine Oma ist – war eine geborene Overkamp. 1764 schreibt Ferdinand Overkamp aus Lippstadt an seine Schwester Katharina Matthiesen in Lübeck und bittet sie, seine schwangere Tochter aufzunehmen. Und die Auszüge aus dem Tagebuch zeigen, dass dann in Lippstadt irgendetwas Schlimmes geschehen ist. Ich habe Abschriften

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