Der Kaufmann von Lippstadt
denn › Wer Godt Vertrauet Fest Auf Ihn Bawt den will er nicht verlassen ‹. Ob er den toten Köpner aus der Grube holen sollte, um ihn an einem anderen Ort zu verscharren? Dann könnte der Engerling behaupten, was er wollte, ihm, Overkamp, wäre nichts anzuhaben. Er könnte alle Anschuldigungen von sich weisen und ganz unschuldig tun. Overkamp huscht ein Lächeln über sein Gesicht, als er sich vorstellt, wie überrascht der Schuster wäre, wenn er Dr. Rose zu verstehen gäbe, dass der arme Engerling wohl verwirrt sei und er, Overkamp, selbstverständlich nichts, aber auch gar nichts mit dem Verschwinden des Anton Köpner zu tun habe. Dann sollte der Engerling mal das Gegenteil beweisen! Doch wie sollte er allein die Grube wieder öffnen? Viele Lippstädter Männer haben sie mit vereinten Kräften ausgehoben und wenige Tage später wieder verschlossen. Allein würde es Stunden, ach Tage!, dauern. Von wie vielen Menschen würde er, Overkamp, dabei beobachtet werden können? Wie sollte er erklären, warum er im Alleingang die Grube öffnet? Nein, auf gar keinen Fall kann er den Köpner aus der Grube holen. Und selbst wenn es ihm gelänge, wohin sollte er dann mit dem Toten? Irgendwo musste Köpner ja hin. Ob er ihn den Tieren zum Fraß vorwerfen könnte? Allein der Gedanke lässt ihn schaudern.
»Geben Sie mir von Ihren edlen Tropfen ein paar Flaschen mit«, reißt Engerling Ferdinand Overkamp aus seinen Gedanken. »Und Geld! Wie viele Reichstaler haben Sie? Ach, geben Sie mir einfach alles!«, fordert Engerling. »Früher oder später bekomme ich es ohnehin!«
Ich bringe ihn um!, flucht Overkamp in Gedanken. Diese Missgeburt, diese … Aber Mord … schon wieder … Ihm wird flau bei dem Gedanken. Er muss Engerling zur Vernunft bringen. So geht das doch nicht.
Als Ferdinand Overkamp Caspar Engerling sämtliche Reichstaler in ein Säckchen füllt, betritt Bernhard Buersmeyer das Kontor. Schnell steckt Overkamp das Geld in den Hosenbund und befiehlt seinem Diener, Berta, der alten Magd, zu sagen, dass er gleich eine Tasse Kaffee zu trinken wünsche. »Stark soll er sein. Sehr stark«, sagt Overkamp, als Buersmeyer die Tür schon wieder fast zugezogen hat.
»Hier, Engerling, nehmen und verschwinden Sie. Sie können sich auf etwas gefasst machen!«, droht Overkamp und schiebt seinen Erpresser in die Kirchgasse hinaus. Von innen legt er den Riegel um und geht in die gute Stube zu seiner Gemahlin Johanna.
»Meine Liebe, in gut acht Wochen ist Jahrmarkt. Dann kaufe ich uns neues Porzellan und alles, was wir brauchen. Die Pachtzahlungen sind dann fällig«, beginnt Ferdinand bei einer Tasse Kaffee ein Gespräch mit seiner Gemahlin. Mit diesen beiläufigen Worten versucht er, sich selbst über das hinwegzubringen, was soeben geschehen ist.
»Ja, schon so weit ist das Jahr fortgeschritten, dass der Bartholomäus-Tag vor der Tür steht«, hängt Johanna Overkamp ihren Gedanken nach. »Was war das für ein Jahr! Da sollte man meinen, mit dem Frieden von Hubertusburg käme nicht nur der Friede für Preußen, sondern auch für uns. Aber nein, ich fühle Unruhe im Haus«, sorgt sie sich und zupft an ihren neuen Röcken. »Dieses Unheil betrifft sogar schon unsere Bediensteten. Am Tag der Explosion verliert Agnes ihren jüngeren Bruder. Stellen Sie sich vor, Ferdinand, noch kurz vorher sei der Johann hier gewesen und habe Agnes berichtet, dass deren Frau Mutter schwer erkrankt sei. Erst vorgestern hat Agnes es mir erzählt, als sie mich darum gebeten hat, am Nachmittag nach Hause gehen zu dürfen, weil ihre Frau Mutter im Sterben liege. Am Abend ist die Mutter dann gestorben. Nun hat die arme Agnes niemanden mehr. Bruder und Mutter binnen weniger Tage verstorben.«
»Johann?«, fragt Overkamp mit wachsender Aufregung. Irgendetwas passt hier nicht zusammen. Johann ist einer der beiden toten Kuhjungen. Wie heißt der andere? Ach ja, Hermann aus Bockenforde. Overkamps Gedanken rasen. Johann. Johann war hier. Dann wird es Johann gewesen sein, den er am Morgen gesehen hat, als er von der Apotheke zurück kam und glaubte, der Bursche vor seinem Hause sei der Vater des ungeborenen Kindes. Dabei scheint dieser Bursche gar nichts mit Elisabeth zu schaffen gehabt zu haben, sondern mit Agnes, der jungen Magd. Bruder und Schwester.
Overkamp springt auf, sagt, er habe noch etwas wichtiges zu erledigen und geht in sein Kontor. Er muss denken; er muss seine Gedanken ordnen.
Hinter seinem Schreibtisch sitzend wird Ferdinand Overkamp
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