Der Kaufmann von Lippstadt
Tage wurde des Morgens der Friedensschluß unter dem Donner von 100 Kanonen auf hiesigem Marktplatz feierlich proklamirt, darauf zogen die Königlichen und Gräflichen Beamten, der Magistrat, der Rath und die Vorsteher der Bürgerschaft in feierlichem Zuge in die große Marienkirche, in welcher der jüngere Herr Pfarrer Dreckmann über Psalm 35, […] 27 u. 28 eine erhebende Predigt hielt. Ebendasselbe geschah in den übrigen Kirchen der Stadt. Am Nachmittag wurde wieder feierlicher Gottesdienst gehalten und der Festtag unter feierlichem Geläute sämmtlicher Glocken und Abfeuern der Geschütze beschlossen. Am 14. und 15. versammelten sich die Bürger in verschiedenen Räumen zu festlichen Mahlzeiten, am Abend war die ganze Stadt illuminirt. […]‹ 67
Das war ein Fest, das Overkamp stets in Erinnerung bleiben würde. Doch nach den Feierlichkeiten zum Ende des Siebenjährigen Krieges blieb eine marode Stadt zurück. Da half auch die geschenkte namhafte Summe von Herzog Ferdinand nicht viel. Und als Friedrich der Große den städtischen Behörden verkündete, die Festungswerke würden geschleift 68 , wurde der Ruhm Lippstadts mit seinen Mauern dem Erdboden gleichgemacht. Lippstadt verlor sein Ansehen, wie auch er, Ferdinand Overkamp, sein ehrenhaftes Ansehen verlieren wird; und mit ihm wird die ganze Familie Overkamp alles verlieren, wenn herauskommen würde, was er getan hat. Wie viele Generationen der Overkamps hatten hier gelebt? Sein Vater und auch schon sein Großvater waren tüchtige Kaufleute in Lippstadt gewesen. Beide waren sie im Rat gewesen, wie auch er jetzt im Rat der Stadt ist. Bestimmt hätte sein ältester lebender Sohn voll Stolz das Erbe der Familie angetreten und Kaufmann und Ratsmitglied werden wollen. Doch nun – Ferdinand Overkamp blickt auf seine gefalteten aufgeschürften Hände. Sie schmerzen ihn, wie auch das ruinierte Lippstadt ihn schmerzt. Herr Christ, erbarme dich meiner. Für diese Schuld gibt es keine Strafe. Ebenso wie für die andere, denkt Overkamp. Bis zum Jüngsten Gericht werde ich schuldig sein. Wie hat es so weit kommen können? Früher war wirklich alles besser gewesen. Aber in heutigen Zeiten glaubten Menschen niederen Standes, einen Ehrenmann wie ihn erpressen zu können! Das hätte es in Lippstadts glorreichen Zeiten nicht gegeben. Niemand hätte es gewagt … Aber Köpner hat bekommen, was er verdient hat. Diese vermaledeite Angelegenheit mit den beiden toten Hirten, und dass die marode Stadt noch mehr zerstört würde, das hatte er nicht gewo…
»Amen.« Pastor Dreckmann beendet seine Predigt. »Wir singen das Lied: ›Eine feste Burg ist unser Gott‹ von Martin Luther.«
Overkamp zuckt zusammen. Wo war er nur mit seinen Gedanken? › Eine feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen. ‹ – Auch hier an der Großen Marienkirche sind die Schäden der Explosion deutlich zu sehen. Mit welcher Wucht die Ziegel vom Dach gerissen worden sind! Hier muss dringend aufgeräumt werden. Seine Gedanken entgleiten ihm.
› Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein … ‹ – Die vielen feinen Risse seiner gefalteten Hände hat er nicht zur Gänze reinigen können. – › Wie im Himmel also auch auf Erden … ‹ – Was für eine Plackerei mit Spitzhacke und Spaten in der Er… – Wo ist mein Spaten? Wo? Ferdinand Overkamp bricht der Schweiß aus. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Wo ist dieser gottverdammte Spaten? – Dieser verfluchte Hurensohn Köpner bringt nur Unheil. – › Und vergib uns unsere Schuld … ‹ – Herr Christ, vergib mir. Ich hatte keine Wahl. Ich musste doch meine Familie vor der Schande bewahren! – › … sondern erlöse uns von dem Übel … ‹ – Köpners Anton! – › Amen ‹.
65 Möller: Alte Nachrichten von Lippstadt . 1788. [1973]. S. 269.
66 Aus tiefer Not schrei ich zu dir (Evangelisches Kirchengesangbuch 299), Der 130. Psalm: »De profundis clamavi«
67 Chalybaeus: Lippstadt. Ein Beitrag zur Deutschen Städtegeschichte. 1876. [1990]. S. 225.
68 Vgl.: Chalybaeus: Lippstadt. Ein Beitrag zur Deutschen Städtegeschichte . 1876. [1990]. S. 228.
17. Mai 2010
Am Montagmorgen leiht sich Oliver das Fahrrad seiner Mutter und fährt An der Untertrave entlang. Am Holsten Tor hält er an. So etwas Eindrucksvolles gibt es in Lippstadt nicht, obwohl dort auch noch viele alte und gut erhaltene Häuser stehen, denkt er. Und die alten Salzspeicher
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