Der Kaufmann von Lippstadt
müssen uns unterhalten. So geht es doch nicht weiter«, sagt Stadt-Physicus Dr. Buddeus zu seinem Stiefbruder Clüsener, den er aufgesucht hat, um Frieden zu schließen. »Wir sind doch gescheite Leute und streiten trotzdem seit Jahren. Wir sollten uns endlich einigen.«
»Einigen? Aufgeben sollst du«, schlägt Stadt-Syndicus Clüsener grinsend vor. »Du hast kein Anrecht auf das Erbe unseres gemeinsamen Halbbruders Carl. Niemals werde ich es mit dir teilen. Niemals!« Er regt sich auf, wie er sich immer aufregt. »Niemals!«, ruft er laut. »Niemals! Es steht nur mir zu!«
»Aber dein Vater und meine Mutter hätten es so gewollt. – Sie mögen in Frieden ruhen! – Meine Frau Mutter hat immer gesagt, wir sollen uns an einen Tisch setzen, du, Carl und ich. Carl ist nicht mehr unter uns. Möge auch er in Frieden ruhen! Nur wir beide sind noch da. Lass uns Frieden schließen«, bittet Dr. Buddeus.
»Frieden? Niemals. Ich verklage dich bis zum Sankt Nimmerleinstag. Alles wirst du verlieren!«, tobt Clüsener. »Alles! Bis du kein Haar mehr auf dem Kopf hast!« Rot angelaufen rauft er sich sein Haar. »Verschwinde aus meinem Haus. Ich will dich nicht mehr sehen, du … du … Erbschleicher!«, schreit Clüsener. »Raus, sage ich! Raus! Ich kann dich Missgeburt nicht ertragen, eine Schande für die Familie bist du. Gut, dass du wenigstens nicht unseren Namen trägst. Dass du es wagst, hierherzukommen. Eine Unverschämtheit. Ich werde dich ruinieren! Darauf kannst du dich verlassen. Du …«
Dr. Buddeus verlässt eiligst das Clüsener’sche Haus in der Marktstraße. Seit 1749 gehen diese Erbstreitigkeiten nun schon, und er, Buddeus, dachte, es sei an der Zeit, Frieden zu schließen. In Preußen ist wieder Friede eingekehrt, bei den Stiefbrüdern Clüsener-Buddeus nicht. »Wie kann Peter so mit mir sprechen? Was denkt er eigentlich, wer er ist? Nur weil er zum Magistrat gehört? Er glaubt wohl, etwas Besseres zu sein. Zutiefst beleidigt hat er mich. Verklagen will er mich, bis ich alles verliere. Er hat doch jetzt schon viel mehr Geld als ich. Was will er eigentlich? Ich brauche das Geld dringender als er«, schimpft Dr. Buddeus vor sich hin. »So viele Lippstädter haben die Rechnungen für meine medizinischen Dienste noch nicht bezahlt. Ich habe kaum noch einen Pfennig in der Tasche.«
»Guten Tag, Dr. Buddeus«, reißt der Kaufmannsdiener Bernhard Buersmeyer den Doktor aus seinen Gedanken. »Mein Herr schickt mich, um Sie an die Bezahlung der noch offenen Rechnung zu erinnern. 1 Reichstaler und 23 Mariengroschen. Sie, werter Herr Dr. Buddeus, sollen sie bitte unverzüglich begleichen, sonst muss Herr Overkamp rechtliche Schritte gegen Sie einleiten. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.« Mit einer leichten Verbeugung will Bernhard Buersmeyer zurück zur Kirchgasse eilen. Doch es kommt anders.
»Sie wagen es, mich wegen so einer Lappalie auf offener Straße anzusprechen? Ihr glaubt wohl alle, mit mir könnt ihr machen, was ihr wollt. Aber so nicht! Ich weiß mich zu wehren!«, ruft Dr. Buddeus und schlägt zu.
Der Fausthieb kommt so schnell und unerwartet, dass Buersmeyer ihn nicht abwehren kann, doch er schlägt zurück. Dr. Buddeus läuft Blut aus der Nase. Woher die Wut kommt, die Buersmeyer auf Dr. Buddeus einschlagen lässt, könnte er selbst nicht sagen. Auch als Dr. Buddeus bereits auf dem Boden liegt, tritt Buersmeyer auf ihn ein. Immer wieder holt er aus, bis Ferdinand Overkamp ihn von hinten packt und festhält. Der herbeigeeilte Amtmann Möller hilft Dr. Buddeus wieder auf die Beine. Dieser kann kaum stehen und fasst sich vor Schmerz vorne zwischen die Beine. Sein Gesicht ist geschwollen und blutverschmiert. Amtmann Möller begleitet Dr. Buddeus in dessen Behandlungszimmer in der Soeststraße.
Im Kontor in der Kirchgasse stellt Ferdinand Overkamp seinen Diener Buersmeyer zur Rede, während dieser sich ein nasses Linnentuch an die Stirn drückt.
»Sie sollten Dr. Buddeus lediglich an die Begleichung seiner Rechnung erinnern und nicht jeden Mariengroschen einzeln aus ihm herausprügeln. Was denken Sie sich? Dr. Buddeus genießt hohes Ansehen in Lippstadt. Er sitzt im Rat für den Kloster Hofen! Er ist ein Herr! Nicht so ein kleiner Kaufmannsdiener wie Sie. Sie bringen noch Schande über …«
Da springt Bernhard Buersmeyer auf und schneidet Overkamp das Wort ab. »Ich bin vielleicht ein kleiner Kaufmannsdiener, ja, aber Schande haben Sie über Ihre Familie gebracht!«, brüllt er.
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