Der Kaufmann von Lippstadt
erst der Leuchter. »Der alte wirkt so ärmlich«, ahmt er ihre affektierte Art nach. »Ärmlich«, sagt er zu sich selbst. Ja, so würde es in Zukunft sein, wenn es ihm nicht gelänge, den Engerling zu beseitigen. Am besten gleich heute Abend. Wenn alle im Krugzelt betrunken sind und niemand auf irgendetwas achtet, dann würde er zuschlagen. Ein erlösendes Lächeln macht sich breit. Bald ist nicht nur Frieden in Preußen, sondern auch im Hause Overkamp.
Ohne anzuklopfen betritt Bernhard Buersmeyer das Kontor. »Geben Sie mir ein paar Reichstaler für den Jahrmarkt«, fordert er. »Gutes hat seinen Preis, das wissen Sie ja.« Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: »Schweigen auch!«
»Verschwinde!«, schreit Overkamp. »Verschwinde und komm nie wieder. Du stehst nicht mehr in meinem Dienst! Du kannst mir nichts anhaben. Ich werde sagen, du lügst. Und wem wird wohl eher geglaubt? Dem ehrenwerten Kaufmann Overkamp oder seinem kleinen, erbärmlichen Diener? Raus aus meinem Kontor!«, brüllt Overkamp in Rage.
Bernhard Buersmeyer steht in der Kirchgasse und hört den Trubel des Jahrmarktes auf dem Marktplatz. Doch ohne einen einzigen Reichstaler in der Tasche zu haben, braucht er sich dort nicht blicken zu lassen. Ohne lange zu überlegen, geht er zu Caspar Engerling in die Cappelstraße.
»Treten Sie ein«, bittet Engerling mit einem fiesen Grinsen im Gesicht.
»Wie gut, dass Sie zu Hause sind«, begrüßt ihn Buersmeyer erleichtert und glaubt, seinem Ziel ganz nahe zu sein.
»Ja, meine Familie ist bereits vorgegangen. Hat Sie jemand herkommen sehen?«, erkundigt sich Engerling, auch zu seiner eigenen Sicherheit.
»Nein, natürlich nicht.« Bernhard Buersmeyer ist stolz auf sich, dass er so umsichtig gewesen ist und nicht auf direktem Wege zu Engerling gegangen ist. Er wollte besser sein als Ferdinand Overkamp und sich nicht beobachten lassen. Schließlich muss er von nun an seinen ganzen Lebensunterhalt von dem Geld bestreiten, das der Engerling ihm gibt. Zum Glück weiß noch niemand, dass ich nicht mehr Overkamps Kaufmannsdiener bin, und der Overkamp wird es auch heute, an Bartholomäus, nicht herausposaunen, denkt Buersmeyer. Jetzt heißt es, sich ganz geschickt anzustellen. Die Drohung, den Ruf der Schusterstochter zu ruinieren, ist ausgezeichnet. Doch er muss aufpassen. Der Engerling ist ihm nicht ganz geheuer. Ein seltsamer und undurchsichtiger Zeitgenosse.
Bernhard Buersmeyer sieht sich um; er möchte sich ein Bild davon machen, wie die Familie Engerling lebt, und wie viel Geld hier wohl zu holen ist. Als Buersmeyer nur für einen kleinen Augenblick Caspar Engerling den Rücken zukehrt, nimmt dieser den bereitgelegten Hammer und schlägt zu. Einmal, zweimal. Dann fällt Buersmeyer zu Boden. Engerling dreht ihn auf den Rücken und öffnet dessen Mund. Das ist leichter, als er angenommen hatte. Doch die Zunge, auf die er es abgesehen hat, lässt sich nicht greifen. Sie ist weich und warm und glitschig und gleitet ihm immer zwischen seinen Fingern hindurch. Die Zunge fällt tief in den Rachen hinein. Er hat Spucke an seinen Fingern. Abscheulich, findet er und schüttelt sich. Dann zieht er Buersmeyer in seine Werkstatt und nimmt die breite Zwickzange; damit kann er die Zunge gut halten. Mit der Klinge schneidet er sie ab. Buersmeyer röchelt und kommt zu sich; er schreit vor Schmerz. Engerling greift ihm ins Haar, hebt Buersmeyers Kopf an und schmettert diesen mit voller Wucht auf den Boden. Stille. Doch er muss sich beeilen. Was ist, wenn jemand die Schreie gehört hat? Was ist, wenn jemand kommt?
Buersmeyers Wunde blutet stark. Schnell sind Mund und Rachen vollgelaufen. Das Blut läuft über Wangen und Kinn auf den Boden. Was soll er tun? Das Blut wird ihn verraten! Das Maul muss man ihm stopfen!, schießt es Engerling durch den Kopf. Für einen Augenblick freut ihn die Doppeldeutigkeit. Doch er muss sich beeilen. Das Blut fließt. Buersmeyer würgt und röchelt wieder. Vom Polieren liegt noch ein Lappen auf der Werkbank; diesen steckt er Buersmeyer in den Mund. Buersmeyer gibt abstoßende und furchterregende Geräusche von sich. Was soll ich jetzt machen?, überlegt Engerling. Das Blut muss weg. Alles ist rot. Er kann das Blut riechen. Buersmeyer hustet den voll Blut gesogenen Lappen aus dem Mund. Er schreit vor Schmerz, holt tief Luft und schreit weiter. Schnell nimmt Engerling einen Rest Sämischleder und stopft es Buersmeyer weit in den Rachen. Stille. Doch nur für einen kurzen Augenblick. Dann
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