Der Kaufmann von Lippstadt
vorgestern war?«
»Hm.« Annika überlegt und rechnet. »Ich weiß es nicht. Wir kennen uns so und so lange?«, rät sie.
»Falsch. Vorgestern vor 246 Jahren war diese große Explosion in Lippstadt, wo im Bereich des Südertores …«
»Ich weiß. 246 Jahre, und nur die wenigsten wissen davon«, sagt Annika etwas gelangweilt.
»Du hast recht, das weiß kaum jemand. Man sollte in vier Jahren, also am 2. Juni 2014, eine Gedenkminute in Lippstadt abhalten. Und dann können die Lippstädter froh sein, dass sie ihre Stadt noch haben. Vielleicht wäre das Datum besser für ein Stadtjubiläum geeignet als die 825 Jahre. Es gibt ja Theorien, die besagen, dass Lippstadt nicht schon 1185, sondern später gegründet wurde«, referiert Oliver. »Soll ich dir das mal genauer erzählen?«
»Nein, jetzt nicht. Sei doch froh, dass es in diesem Jahr so viele Events wegen des Jubiläums gibt. Wir säßen jetzt nicht hier im Grünen Winkel bei Fackellicht, wenn das in Lippstadt nicht gefeiert würde.«
»Wenn ich nur wüsste, wem ich den Vorschlag mit der Gedenkminute zum 250. … Was eigentlich? Zur 250-jährigen Explosion? Das klingt nicht gut. Mal überlegen. Vielleicht sollte ich richtig recherchieren und zum entsprechenden Jahrestag etwas veröffentlichen«, plant Oliver. »Ein Buch oder so?«
73 Programmheft : Parkzauber. Familientage in Lippstadts Grünem Winkel. 4. - 6. Juni 2010.
24ter August 1764
»Caspar Engerling. Das nenne ich eine göttliche Fügung«, begrüßt ihn Bernhard Buersmeyer. »Wie gut, dass ich Sie treffe. Haben Sie es sich überlegt? Geben Sie mir die Hälfte von dem, was der Overkamp Ihnen gibt?«
»Nein, niemals«, entgegnet Engerling.
»Gut, dann weiß ich, was ich zu tun habe. Ich habe mir viele Gedanken bezüglich Ihres Fräulein Tochter gemacht, sie hat wohl eine Liebelei mit einem verheirateten Mann und hat schon mit ihm …«, droht Buersmeyer und will zurück in die Judenstraße. Doch nahe am Rathaus sind Stadt-Syndicus Clüsener und Dr. Buddeus aufeinandergetroffen. Seit ihrem Streit um das Erbe ihres Halbbruders waren sie sich aus dem Weg gegangen, aber heute, an Bartholomäus, ist Jahrmarkt, da bleibt niemand zu Hause.
»Heda, Erbschleicher!«, ruft Clüsener. »Hast du es dir überlegt, lässt du von dem Erbe ab, oder soll ich in Revision gehen?«
»Lass mich in Ruhe«, entgegnet Dr. Buddeus. Er möchte einen erneuten Streit mit seinem Stiefbruder Peter Henrich Clüsener vermeiden.
»Ich will wissen, woran ich bin. Carls Erbe nenne ich mein Eigen!« Bei jedem Wort tippt Clüsener mit dem Finger auf Dr. Buddeus’ Brust.
»Fass mich nicht an«, verteidigt sich dieser. »Du mieser, kleiner …«
»Doktor, brauchen Sie Hilfe? Soll ich diesen Herrn von Ihnen fernhalten?«, mischt sich Caspar Engerling ein und zeigt auf Clüsener.
»Was geht Sie das an?«, tobt Clüsener. »Verschwinden Sie … Sie …« Bevor Clüsener die Beleidung aussprechen kann, schlägt Engerling ihm ins Gesicht.
Dr. Buddeus weicht sofort mehrere Schritte zurück. Der Schrecken der Schlägerei mit Buersmeyer sitzt ihm noch im Nacken. Dr. Buddeus ist hin- und hergerissen. Solch einen Dämpfer hat sein Stiefbruder zwar verdient, aber richtig ist es trotzdem nicht.
Clüsener wehrt sich gegen Engerling, gibt aber ein erbärmliches Bild ab. Mit Worten ist der Clüsener schnell dabei, aber sein Faustschlag ist eher der einer schwachen Frau. Buersmeyer scheint ihm zu Hilfe zu kommen und schlägt auf Engerling ein. Binnen kürzester Zeit bilden Schaulustige einen Kreis um die sich Prügelnden. Einige feuern Engerling an, andere Buersmeyer. »Ich wette ein Bier, dass Buersmeyer gewinnt!«, ruft einer aus der Menge. »Zwei auf Engerling!«, ruft ein anderer. In Windeseile kommt auch Ferdinand Overkamp zum Rathaus gelaufen und drängt sich durch die Zuschauer, um Buersmeyer wieder einmal aus einer Schlägerei zu holen. Ehe er sich’s versieht, trifft ihn Engerlings Faustschlag ins Gesicht. Overkamp holt aus und schlägt zurück. Die ganze Wut und Verzweiflung der letzten Wochen prasseln auf Engerling ein. Wie im Wahn schlägt Overkamp wieder und wieder zu. Bernhard Buersmeyer steht da und freut sich, dass Overkamp für ihn erledigt, was getan werden muss.
Zwei kräftigen Männern gelingt es, Caspar Engerling und Ferdinand Overkamp zu trennen. »Holt Dr. Buddeus, den Stadt-Physicus. Der Clüsener braucht einen Arzt«, ruft einer der Menge zu.
»Dr. Buddeus war doch gerade noch hier«, bemerkt jemand. »Wo ist
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