Der Kaufmann von Lippstadt
endlich den ihm zustehenden Platz einnimmt. Auch die Kirchensitze in der Großen Marienkirche werden an ihn übergehen. Er wird dann der erfolgreichste Kaufmann in Lippstadt. Das wird schon nicht so schwer sein, Waren zu kaufen und zu verkaufen. Das macht er bisher auch so, schließlich kauft er Leder und fertigt Schuhe an, die er dann verkauft. »Ich verstehe etwas vom Geschäft«, verspricht sich Caspar Engerling selbst.
Das Lottospiel ist zum ersten Mal auf einem Lippstädter Jahrmarkt. Eine Weile schaut Engerling zu, dann versucht er auch hier vergebens sein Glück. Selten passt eine Zahl, und wenn, dann auch nur eine! Einen ganzen Reichstaler verliert er. Zum Trost gönnt er sich eine Kanne Bier bester Sorte für einen Mariengroschen. Und noch eine Kanne für den Weg nach Hause.
74 Vgl.: Ulrich Becker: Ein Hauch von Luxus. Fächer und Fächerentwürfe aus vier Jahrhunderten. Die Sammlung des Heimatmuseums der Stadt Lippstadt . Hg. v. Kulturring Lippstadt e.V. 1987. Nr. 10. S. 24/49.
75 Vgl.: Becker: Ein Hauch von Luxus . 1987. Nr. 10. S. 24/49.
76 Vgl.: St.R. B 2925 (Preisfeststellungen für Korn, Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände sowie Lohnfestsetzungen. 1764 Jan. 7.)
77 Vgl.: Der Rüsinghof. Eine Hof- und Familiengeschichte (Teil 2) . In: Heimatblätter 2003, 83. Jahrgang.
25ter August 1764
Mit den ersten Sonnenstrahlen am Morgen schleppen sich die letzten Gäste des ›Goldenen Hahns‹ über den Marktplatz nach Hause. Die Stimmung auf dem Jahrmarkt und später in der Schänke ist aufgeheizt gewesen. Alkohol ist in großen Mengen getrunken worden. Die Glasermeister Strenger und Steinbicker schlurfen müde und mit hängenden Köpfen über das Kieselsteinpflaster. Das Sonnenlicht schmerzt in den Augen.
»Komm, hier lang. Is’ kürzer«, sagt Steinbicker.
»Hm. Was häng’ denn da?«, nuschelt Strenger.
»Wo?«
»Rathaustür.« Für einen ganzen Satz ist Strenger zu erschöpft.
»Weiß nich’«, antwortet Steinbicker. »Lass uns gucken geh’n.«
»Iiih! Was is’ das denn? Das blutet ja«, stellt Strenger entsetzt fest.
»Das is ’ne Zunge, oder?« Steinbicker übergibt sich augenblicklich direkt vor die Rathaustür, was den Bürgermeistern Dr. Rose und Herrn Schmitz nicht gefallen wird.
Mit letzter Kraft schleppen sich die beiden zum Stadt-Physicus Dr. Buddeus in die Soeststraße und trommeln an die Tür.
»Dr. Buddeus, kommen Sie schnell! Da hängt eine Zunge an der Rathaustür!«, rufen sie. »Dr. Bu-dde-us! Dr. Buuu-ddeee-usss! Schnell!!!«
»Ihr seid ja nicht gescheit. Wohl zu viel gesoffen!«, schimpft Dr. Buddeus, als er seine Eingangstür öffnet.
»Dr. Buddeus, da ist eine Zunge an die Rathaustür genagelt worden«, berichtet Strenger.
»Mensch oder Tier?«, erkundigt sich Dr. Buddeus.
»Zun-ge«, sagt Strenger überdeutlich.
»Ist die Zunge von einem Menschen oder einem Tier?«, versucht Dr. Buddeus es noch einmal.
»Weiß nich’«, antwortet Steinbicker und übergibt sich erneut.
Dr. Buddeus greift nach seiner Tasche und folgt den beiden Männern zum Rathaus.
Dort angekommen erschrickt Dr. Buddeus. Der Anblick ist abscheulicher als erwartet. »Ruft die Bürgermeister Dr. Rose und Herrn Schmitz und Stadt-Syndicus Clüsener. Die müssen das sehen!«, befiehlt Dr. Buddeus den beiden Glasern.
Dr. Rose ist früh aufgestanden – ›Morgenstund hat Gold im Mund‹, pflegt er stets zu sagen – und ist schnell zur Stelle; von seinem Wohnhaus zum Rathaus sind es nur wenige Schritte.
»Der Herr steh uns bei!«, ruft Dr. Rose. »Was ist hier los?«
Dr. Buddeus erläutert, dass es sich um eine menschliche Zunge handle, die erst vor wenigen Stunden aus einem menschlichen Körper entfernt worden sei. Es sei ein sehr scharfes Messer gewesen, er könne es am Schnitt erkennen. »Sehen Sie hier«, fordert Dr. Buddeus die Umstehenden auf. »Hier sehen Sie, wie die Fasern des Muskels glatt durchtrennt sind. Sie wissen, dass die Zunge ein Muskel ist?«
Der Glasermeister Strenger tritt einen Schritt zurück und erwischt eines der vielen Schlaglöcher auf dem Marktplatz. Er stürzt und bleibt auf dem Rücken liegen. Dieser Fund ist zu viel für seinen alkoholgereizten Magen. Am liebsten würde er an Ort und Stelle einschlafen, doch die Männer stellen ihn wieder auf seine Beine.
»Sie sind ja ganz blass! Ist Ihnen nicht wohl?«, erkundigt sich Dr. Buddeus. »Ja, ja, so ein Anblick ist nicht jedermanns Sache. Dieser Fund teilt uns etwas mit«, beginnt er zu referieren. »Die
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