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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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Staatliches Umweltamt Lippstadt (Hg.): Lippeauenprogramm. Die Klostermersch. Ein Fluss erobert seine Aue zurück . Juni 2002.

9ter Januar 1765
    Der eisige Nordostwind pfeift durch jede Ritze des Hauses, sodass Ferdinand Overkamp die Wolldecke enger um seine Beine zieht. Die anhaltende Kälte macht ihm zu schaffen; seine Glieder schmerzen. Seit dem Tod seines Sohnes im Dezember ist ihm nicht mehr warm geworden. Das sei die innere Kälte, meint Johanna. Die Herzenskälte sei viel, viel schlimmer als der Wind. Auch die Eisblumen an den Fenstern stören Johanna nicht. Wenn das helle Licht der Sonne durch die Kristalle scheine, werde ihr, Johanna, die glanzvolle Schönheit bewusst. Gottes Schöpfung, in die sich der Mensch nicht einmischen dürfe. So sei einst auch die Familie Overkamp gewesen. Glanzvoll, erfolgreich, mit hohem Ansehen nicht nur in Lippstadt. Gottes Schöpfung eben.
    Johanna Overkamp geht zum Fenster der guten Stube und blickt durch die Eisblumen hindurch. Verzerrt steht der Turm der Großen Marienkirche imposant im Licht der Sonne. Mit dem Daumennagel zerkratzt sie die Eisblumen an der dünnen Scheibe. Immer heftiger fährt sie mit dem Daumen hin und her und zerstört das eindrucksvolle Gebilde. Abgeschabtes Eis fällt auf die Dielen. Durch ein kleines Guckloch hat Johanna nun einen klaren Blick auf den blauen Himmel. Wenn Gott doch nur helfen würde und alle Sorgen und Nöte dieses Winters ein wenig lindern würde. Wie wundervoll wäre es, wenn sie, Johanna, nach Lübeck reisen könnte, um ihre Tochter Elisabeth zu besuchen. Wie wundervoll wäre es, all das Geschehene vergessen zu können. Alles zurückzulassen und neu zu beginnen. Ein sorgenfreies Leben an der Seite eines Mannes, der nicht jeden Stolz und jeden Lebensmut verloren hat. Ausgedehnte Spaziergänge an Lippe oder Trave könnte man unternehmen und dabei die Sonne genießen. Man könnte miteinander sprechen, statt immer zu schweigen. Wie sehr sehnt sich Johanna nach den Gesprächen, die sie einst mit ihrem Gemahl geführt hat. Über so vieles haben sie sprechen und auch lachen können. Sie sind froh und glücklich gewesen. Ja, sie hatten Gott in sich. Johanna drückt die Tücher wieder fest an die Fensterritzen. Es zieht und es ist kalt. Sie fröstelt in der guten Stube. Ihr Gemahl hat die beiden Mägde angewiesen, mit dem Holz sparsam umzugehen. Nur die gute Stube dürfe ein wenig geheizt werden. Im Ofen solle immer nur ein einzelnes Buchenholzscheit glühen, das reiche aus, um nicht zu sehr zu frieren. Selbst im Kontor, in welchem er, Overkamp, beinahe den ganzen Tag zubringt, ist es bitterkalt. Vor wenigen Jahren hat er noch einen Kaminofen einbauen lassen, doch jetzt ist es an der Zeit, umzudenken. Der Ofen bleibt aus, hat Overkamp aus der Not heraus beschlossen.
    Es klopft an der Tür zum Kontor. Ferdinand Overkamp zuckt zusammen. Seit Wochen oder gar seit Monaten bedeutet es nichts Gutes mehr, wenn bei ihm angeklopft wird. Früher, als die Zeiten noch besser waren, war Anklopfen stets ein Zeichen für laufende Geschäfte. Das war auch der Grund, warum er zu Beginn des vergangenen Jahres einen prächtigen Messingklopfer an seiner Türe anbringen ließ. Ein wahres Meisterwerk, welches jeden Besucher beeindruckt und darüber hinaus ein angenehm klingendes Klopfen hervorruft. Eine Anschaffung, die sich lohnen würde, da war sich Overkamp sicher gewesen. Heute hingegen ist alles anders; heute kommen nur noch schlechte Nachrichten. Der Messingklopfer ertönt ein zweites Mal. Hastig zieht er sich seine Mütze vom Kopf und wirft diese zusammen mit der Wolldecke unter seinen Schreibtisch.
    »So treten Sie ein!«, ruft Ferdinand Overkamp und steht auf. »Ah, Dr. Rose. Was verschafft mir die Ehre?«
    »Herr Overkamp, guten Tag«, beginnt Dr. Rose. »Kalt haben Sie es hier. Das ist nicht gut. Sie werden noch krank. Ein Lungenleiden.«
    »Aber nicht doch. Mit dem Abzug stimmt etwas nicht, sodass ich meine Geschäfte aus der guten Stube erledige. Da haben wir es angenehm warm«, lügt Ferdinand Overkamp. »Was führt Sie zu mir?«, erkundigt er sich.
    »Es geht um Ihren Kaufmannsdiener Buersmeyer. Wie ich hörte, hat er die Stadt verlassen. Und das schon im August.«
    »Wohl wahr. Es war Jahrmarkt, Bartholomäus, da erwischte ich ihn auf frischer Tat, wie er lange Finger machte und in meine Kasse griff. Das konnte ich nicht dulden und habe ihn umgehend aus meinem Dienste entlassen. Er ging und ward nicht mehr gesehen«, berichtet

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