Der Keil des Himmels
anzugreifen, egal ob Kutte oder nicht. Er blickte hoch. Die Mauerkrone war voller Kutten in wimmelnder, doch zielstrebiger Bewegung. Sie waren auf dem Rückzug. Er schätzte, das mussten die letzten sein.
Das peitschengleiche Surren von Armbrustsehnen und Bolzen. Dumpfe Aufschreie oben auf der Mauer. Eine der Kutten kippte hintenüber. Auric warf sich zur Seite, als der vermummte Körper an ihm vorbei stürzte. Den letzten Rest zum Boden legte er im Sprung zurück, fand dort die Kutte liegen. Aus ihrem Körper ragten drei Armbrustpfeile, zwei davon aus der Brust. Weitere Kutten kamen um ihn herum auf; eine wurde gestützt, ein Pfeil stak in ihrer Schulter. Schwere Schatten verdeckten die spärlichen Lichter von der Straße her. Es waren ihre Pferde; er hörte ihr Schnauben und Hufscharren. Er und die Vikarin wurden zu zweien hingedrängt. Aufgesessen fand er Schwert schon direkt neben sich im Sattel sitzend, zwei, drei weitere Kutten auf ihren Pferden um ihn. Wieder Rufe von hinter der Mauer des Anwesens, diesmal weiter weg, zum Torbau hin. Ein Chor rauer Stimmen antwortete ihnen.
Auric sah, dass Schwert sein erregt schnaubendes und austretendes Pferd versuchte ruhig zu halten, während der Haufen von Pferdeleibern und Reitern sich noch in einem Pulk an der Mauer scharte, um auf die restlichen Kutten zu warten. Er bemerkte auch wie der Kopf mit der Kapuze unruhig hin und her zuckte, einmal auch zu ihm hin, als suche er seinen Blick.
Das hat dich wohl verunsichert, dass es nur einen einzigen Befehl braucht, damit die Privatarmee des Einen Weges alle Hemmungen fahren lässt und sich mit der Kutte anlegt. Jetzt fragst du dich wahrscheinlich, wie weit der Eine Weg bereit ist zu gehen.
Innerhalb des eigenen befestigten Besitzes der Kutte im Gefecht entgegenzutreten, innerhalb der Stadtgrenzen Idiriums, dazu musste man schon hartgesotten sein. Die Kutte war die verhüllte, ungreifbare Macht des idirischen Staates. Die Kutte war ein dämonisiertes Schreckgespenst, die Kutte war Legende. Diesen Ruf hatte die Kutte aufgebaut, und Silgenja hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass seine Organisation darin eine ihrer stärksten Waffen sah. Trotzdem hatte Auric seine leisen Zweifel. Dass man es gewagt hatte, jemanden wie die Vikarin Berunian einfach so festzusetzen, dass man in der Lage war, sie so in Furcht zu versetzen, dass sie sich in die hintersten Winkel des Reiches flüchtete, das sprengte in ihm jenes Bild, dass er sich bisher von der Loge des Einen Weges gemacht hatte. Das ließ auch in ihm die Frage aufkommen, wie weit die Loge des Einen Weges bereit war zu gehen.
Die letzten der Kutten sprangen gerade von der Mauer zu Boden, als vom Torhaus her erneuter Lärm erscholl und Aurics Befürchtungen bestätigte. Auric blickte hinüber und sah, wie aus dem Torweg Berittene hervor quollen. Die an ihrer Spitze stachen hell aus dem Dunkel der Nacht hervor – durch die weißen Gewänder des Einen Weges, die sie trugen.
Schwert gab durch die Geste seiner gehobenen Hand den Befehl zum Aufbruch, und sie rasten galoppierend durch die Nacht, die Flucht einer einsamen, verwaisten Straße entlang, vorbei an halb überwucherten Mauern und Toren abgeschirmter Anwesen und Villen. Auric fand bei einem Blick zur Seite Berunian direkt neben sich reitend, von einer Gruppe berittener Kutten umgeben und abgeschirmt. Ihr Gesicht wirkte angespannt und verbissen, sie schien jedoch sicher im Sattel zu sitzen.
Die Nachtluft wehte ihm ins Gesicht und das Muskelspiel des Pferdes unter ihm vermittelte ihm ein Gefühl heißer Aufregung und ungerechtfertigten Triumphes. Zwar hatten sie die Vikarin über die Mauern gebracht, aber noch hatten sie es nicht in Sicherheit geschafft. Die Verfolger saßen ihnen hart im Nacken, und dass sie augenscheinlich von Ranghöheren des Einen Weges angeführt wurden, würde, so dachte er, dafür sorgen, dass ihre Verfolgung auch unerbittlich blieb.
Er versuchte, im Reiten über die Schulter zu blicken, die Kapuze behinderte dabei seine Sicht. Tatsächlich, nicht weit hinter den letzten Nachzüglern der Kutte hoben sich hell die im Galopp tanzenden Gewänder des Einen Weges im Wirbel der vorbeisausenden Nacht hervor. Die Kutten vor ihm lenkten ihre Pferde hart auf eine Abzweigung der Straße zu, und er musste den Blick abwenden. Die Pferde der Kutte waren gut trainiert und diszipliniert. In einer scharfen Wende sprengten sie um die Ecke und ihre Verfolger wurden seinen Blicken entzogen. Armbrustpfeile
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