Der Keil des Himmels
zur Wahrheit bringen.“
Die Reise
Das ebene, fruchtbare Land flog unter ihren Hufen dahin und Erstaunen stellte sich ein. So, als habe die in frühsommerlicher Üppigkeit erblühende Weite um sie herum erst den Raum schaffen müssen, damit derartig tief gehende Regungen sich entfalten konnten.
So wie Schock.
So wie die Fundamente der Weltsicht anrührende Erkenntnisse.
Bevor Auric nach Idirium zurückgekommen war, hatte er den Orden des Einen Weges kaum wahrgenommen, von seiner Loge hatte er nur gerüchteweise gehört. Sie hatte kaum für ihn existiert.
Und da brach sie plötzlich über ihn herein, die Enthüllung, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, so wie sie bald sicherlich auch über die gesamte idirische Welt hereinbrechen würde:
Die Loge des Einen Weges bildet Magier aus.
Magie, ein seltsames Wort. So wie Zauberei. Worte für das abergläubische, ungebildete Volk. Denn Magie – Zauberei, Hexerei, schwarze Kunst – das war etwas Absurdes, Lächerliches.
Bis heute.
Denn ab heute war Magie existent.
Sie war nicht mehr lächerlich oder absurd. Sie konnte Menschen gelehrt werden. Die Loge des Einen Weges tat das.
Sie ritten durch die Idirische Provinz, ein reiches Land mit mildem Klima. Sanfte Hügel, Baumreihen zwischen gepflügten Feldern mit dunkler, duftender Erde, friedliche Dörfer und Städte. Das Gedränge von Gebäuden, das in der Metropole geherrscht hatte, fiel weg. Uralt und geschichtsgeladen war der Geist der Metropole; Schicht um Schicht, Zug um Zug, Gebäude die Menschen, die Leben brüteten, die in stummer, steinerner Autorität Aufmerksamkeit heischten, die Menschenschicksale, Tagesabläufe, Gedanken gliederten, die einfassten, umgrenzten, vergatterten, Richtungen gaben, kanalisierten. Hier herrschten sie nicht, hier war die Autorität ihrer Senkrechten verschwunden, hier herrschte allein der Horizont, der seinen weiten, duldsamen Bogen schlug.
Die wuchernden Stränge und Gestrüppe von Verdächten und Theorien fielen weg, gaben Raum für das Eindringen fundamentaler Wahrheiten.
Die Loge des Einen Weges bildet Magier aus.
Die Vikarin ritt weiterhin an seiner Seite stumm durch die Tage. Sie wechselte nur die nötigsten Worte mit ihm. Während des Wechselns der Pferde oder bei der abendlichen Rast. Aber er hatte den Eindruck, dass ihre Einsilbigkeit nicht nur seiner Person galt, sondern dass, nach dem, was sie auf ihrem Auszug aus Idirium gesehen hatten, der Stachel der Betroffenheit tief in ihrem Fleisch saß. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sie ebenfalls für den Rest der Reise einfach ignoriert. Er hatte keine Lust, sich möglicherweise weitere Unverschämtheiten anzuhören, wie die von ihr im Parlament geäußerten. Aber Silgenja hatte ihn gebeten, ihr auf den Zahn zu fühlen, wegen irgendwelcher Details, die sie möglicherweise zurückhielt. Außerdem war sie der einzige zugängliche Zeuge jener über die Welt hereingebrochenen Ungeheuerlichkeit.
Sie übernachteten in einer kleinen, unauffälligen Herberge in Lacaora, einer jener von einem soliden Mauerring umgebenen Städte, die einmal in den frühen Tagen Idiriums deren Konkurrenten um die Macht in den fruchtbaren bergumschlossenen Ebenen dieses Landes gewesen waren, heute jedoch in den Rang von unbedeutenden Kleinstadttrabanten im Bannkreis des urbanen Molochs abgesunken waren.
Gegen Mittag des nächsten Tages zeichneten sich die Varpassa-Berge deutlich am Horizont ab. Von den Hängen ihrer Ausläufer schauten von einem gedrungenen Mauerring umgebene Kastelle auf den sich windenden Verlauf der Straße herab. Schwärme von Vögeln hingen in der Luft, und der Himmel war blau und makellos.
„Haben Sie es gesehen? Mit eigenen Augen?“
„Was?“ Vikarin Berunians Kopf fuhr zu ihm herum und sie sah ihn mit großen Augen an.
„Das, was sie über die Loge behaupten. Das, was sie lehren soll.“ Er blickte über die Schulter, sah die anderen ihrer Reisegruppe in ausreichender Entfernung, genauso wie er es geplant hatte, als er mit Berunian an der Spitze unmerklich das Tempo angezogen hatte. Die Gesichter seiner Begleitung schienen ausdrucklos und auf den Weg gerichtet, lediglich von Hubbarb erntete er ein Grinsen. „Ich rede von Magie“, sagte er, während er seinen Blick zu Berunian zurückgleiten ließ.
Das Erstaunen in ihrem Blick wich Misstrauen. „Was erzählen Sie da?“ Dann: „Sind Sie etwa auch Angehöriger der Kutte?“
„Wenn ich einer wäre, würde ich es nicht sagen. Und wenn ich einer
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