Der Keil des Himmels
und riss ihn zurück.
Der Ninra sah Auric aus verschleierten Augen an, in die sich Entsetzen eingegraben hatte.
„Inaim, was war das?“ Darachel, den er noch immer bei der Schulter gepackt hielt, rang nach Luft.
Bevor er dem Ninra antwortete, ließ er seinen Blick hastig an den Wänden entlang fahren. Merkwürdig, nirgendwo ein Anzeichen, das sonst diese Phänomene begleitet hatte. Kein Steingesicht, nichts. Die Wände waren glatt und unauffällig.
„Das war ein Wächtergeist. Obwohl ich kein Objekt, nichts Materielles sehe, mit dem er verbunden sein könnte.“ Er kannte die Zeichen. Er hatte ihr Nahen auch verspürt. Den Druck im Schädel, die Last einer mächtigen Präsenz.
Darachel sah ihn verblüfft an.
„Es ist genau das, was ich dir in meinen Erzählungen beschrieben habe“, erklärte er ihm. „Das, womit die Kinphauren ihre Stätten und Festungen schützen. Ich hätte nie gedacht, so etwas hier in Himmelsriff zu finden.“
„Ich noch weniger“, entgegnete ihm Darachel, noch immer atemlos.
„Ich habe es gespürt, habe gemerkt, wie du in den Einflussbereich geraten bist und habe dich zurückgerissen.“
„Wie lange hat das gedauert?“ Auric hatte noch nie einen solchen Ausdruck auf dem fein durchgestalteten, langgezogenen Gesicht Darachels gesehen. „Wie lange war ich in seinem Einflussbereich?“
„Höchstens eine Sekunde. Ich habe sofort reagiert und dich zurück gezogen.“
„Es kam mir wie eine viel längere Zeit vor.“ Das verwunderte Auric nicht. Er kannte die Wirkung, die einer dieser Wächter auf den Geist des Menschen entfalten konnte, und wer konnte sagen, was so etwas mit den feineren Sinnen eines Ninra anstellte.
„Kannst du den Wachtmahr ausschalten?“ Auric sah sich erneut um, konnte aber kein äußeres Anzeichen dieser Schutzvorrichtung entdecken.
Darachel schien seine Fassung wiederzugewinnen, straffte sich und blickte ebenfalls umher.
„Ja“, sagte er nach einem kurzen Moment konzentrierten Mustern ihrer Umgebung, „das kann ich. Auch hier gibt es, wie zur Öffnung des geheimen Abstiegs, ein immaterielles Schloss, zu dem man sich Zugang verschaffen kann. Wenn man die Zeichen kennt.“
Er machte wieder diese kleinen Gesten mit seinen Händen, die eher Schatten von etwas anderem zu sein schienen.
„Dort ist der Nodus … das Schloss. Es ist einfach zu betätigen, wenn man die Zeichen kennt. Es reagiert auf ältere Signaturen, die den heutigen Ninraé normalerweise nicht mehr so geläufig sind. Wir haben wirklich viel Glück auf unserer Seite, dass bei uns einige Umstände zusammentreffen. Meine Studien einer bestimmten Epoche, der Zeit der Späten Feuerkriege. Unsere magischen Forschungen.“
Seine Hände sanken herab, sein Gesicht wandte sich Auric zu.
„Welcher Sache sind wir hier nur auf die Spur gekommen?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es weniger als du“, war alles, was er Darachel darauf antworten konnte.
Der Raum, der sich ihnen am Fuß der Treppe öffnete, war nicht weniger eng, als die Nische, von der aus sie hierher gelangt waren, doch er war verzweigter und weitläufiger.
Sie sahen sich beide um, erblickten die Wölbungen von Büchersäulen um sie her, eng gefüllt mit Bänden und Folianten. Ein bläuliches Licht erfüllte den Raum. Es ging von ähnlichen Zylinder aus, wie er sie auch schon oben in den Räumen der Bibliothek gesehen hatte. Fluchten von Säulen, allesamt Regale, wiesen die Zugänge zu abzweigenden Gängen und Räumen hin. Sie befanden sich in einer kathedralenartigen Höhle, die vollständig aus Büchern bestand. Und der Raum, damit in seiner Hohlform einer Koralle gleich, schien sich hinter Wölbungen und Ausbuchtungen nur noch weiter zu verzweigen.
Auric beobachtete, wie Darachel sich um seine Achse drehte, wie seine Blicke die Buchrücken entlang glitten, wie sie den Reihen der Zeichen folgten, um ihre Titel zu entziffern. Schließlich trat er näher, griff einen der Bände heraus, schlug ihn auf, folgte den Zeilen, blätterte weiter. Nahm einen weiteren Folianten heraus, blätterte hastig, überflog die Zeilen, dann einen weiteren.
Ungläubige Aufregung breitete sich auf Darachels Gesicht aus. Auric hatte den sonst so kontrolliert und gemessen erscheinenden Ninra noch nie so außer sich gesehen.
„Was ist es?“, fragte er. „Was sind das für Bücher?“
Darachel wandte sich zu ihm hin, den Arm voller Bände, die er wie Schätze an sich gepresst hielt, so, als könne er gar nicht genug davon
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