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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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zusammenraffen.
    „Bücher, die es gar nicht geben dürfte“, sagte er.  
    Die Kreisbewegung seines Kopfes und der Bogen seines Blickes deutete den gesamten Rund der Büchersäulen um sie herum an.
    „Apokryphen. Vollständige Texte, so wie ich bisher gesehen habe. Keine Fragmente. Lauter vollständig erhaltene Apokryphen.“
    Sie blickten einander stumm an.
    Auric konnte sich vorstellen, was in diesem Moment in dem Ninra vorging. Ihn selber erfüllte eine Liebe zu den Büchern, ein tiefes Interesse für die Schriften der Vergangenheit. Sie hatten ihm das Leben gerettet. Aber für den Ninra bedeuteten dies noch mehr, über Leidenschaft und intellektuelles Interesse hinaus. Er, Auric, war mit der Erzählung seines Lebens auf der Suche nach sich selber, doch Darachel hatte anscheinend in seinen Studien mit einer ihm selber undurchschaubaren Getriebenheit nach etwas gesucht, was viel tiefer ging. Und jetzt schien plötzlich der Schlüssel dazu zum Greifen nah zu sein. Die Wahrheit. An welche seltsamen Orte führte uns die Suche nach ihr?
    „Wenn der Name, den wir diesen Schriften geben, stimmt“, meinte Darachel zu ihm, „wenn es wirklich nur Apokryphen sind, warum sind sie dann in diesem Raum verborgen. Wer sollte daran Interesse haben, eine umfangreiche Sammlung von Lügen zu verstecken? So sehr, dass er jeden, der versucht, sich Zugang dazu zu erschaffen, töten will?“
    „Jedenfalls scheint ihr mit euren magischen Forschungen nicht die einzigen in euerer Gemeinschaft zu sein, die Geheimnisse hüten“, sagte Auric. „Was würde wohl Lhuarcan dazu sagen?“

Im wilden Nordland

    Der Norden Norgonds war ein wildes Land, von einer rauen, düsteren Schönheit.  
    Weite Heideflächen, mit Steinkreisen, Menhiren und den geschwärzten Ruinen einer älteren Zeit gezeichnet, wildes, zerklüftetes Hügelland, mal vom unerbittlichen Schliff eines eisigen Wind aus dem Norden kahl gefegt, mal von dunklen, tiefen Wäldern überwuchert. Diese Wälder! Die Ausläufer ihrer weiten Kerngebiete warfen einen zerrissenen, verstreuten Flickenteppich über das Land, zerfetzt, verworren und – ritt man über eine Kuppe, einen Höhenkamm, um die Flanke einer Felswand – unerwartet im Gesichtskreis auftauchend, brachen sie mit einer Abruptheit in die Landschaft herein wie Schiffe vor dem Sturm. Ein logistischer und strategischer Alptraum.
    Doch dieses Land war von Zerstörung heimgesucht und zernarbt.
    Überall fand man verbrannte Felder und verlassene Dörfer und Weiler. Rauchsäulen stiegen auf, Hänge und Felder waren ruß- und schlackengeschwärzt. Siedlungen durch die sie ritten, zeigten Zeichen von Mord und Zerstörung, Brandschatzung und Plünderung. Mühlen in Flußtälern waren unter der Einwirkung von Gewalt und Brand eingestürzt, Leichen von Männern, Frauen und Kindern moderten auf Pfählen aufgespießt, mit leisem Knarren im Wind schwankend und sich drehend an Steinbrücken, die Bäche und schmale Flüsse querten, oder entlang von Landstraßen vor sich hin, die Haare an ihren braun verwesten Schädeln so dürr und struppig wie das Heidegras. Herrenlose, verwilderte Viehherden zogen ziellos umher und boten ihren Marschsäulen Nahrung genug.
    So kam es wie ein Schock über sie, als sie, nach den Tagen öden, entvölkerten und verheerten Landes, plötzlich die steil aufragende, vor Befestigungen starrende Stadt vor sich aufragen sahen, hineingepflanzt wie ein dunkles, riesiges Fass in eine Weite aus Äckern, Hügeln und Weideland, summend vor mürrischer Betriebsamkeit.
    Auf der Kuppe des Hügels zügelten Auric und seine Begleitschar ihre Pferde, um ihre Blicke über die sich ihnen bietende Aussicht schwenken zu lassen. Er war allein mit seiner erweiterten Leibgarde unterwegs – dem kleinen Kreis von Cruverian, Pfahl, Schwarzfuchs, Breagnar, Davernian, Ni-Konnacht, seinen sechs Schatten, aufgestockt um sechs weitere Elitekämpfer –, dazu kam noch Hubbarb und sein Skopaina.
    Die Stadt Kaigrant war eine Insel inmitten all des weiten menschenleeren Landes.
    Auf den Höfen, auf den Feldern um die Stadt herum arbeiteten Menschen, vor den Stadttoren zwischen einer Ansammlung riedgedeckter Bruchsteinhäuser herrschte reges Leben. Rohe Gräben waren rings um die Stadt ausgehoben, aus denen angespitzte Baumstämme wie überdimensionierte Stacheln eines Dornenverhaus hervorragten. Die Bollwerke waren schwer und schwarz und abweisend, ihr Stein vom Regen und Wind der Nordlandebenen zernarbt und gedunkelt, gefleckt vom

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