Der Keil des Himmels
die ihnen die Situation aufzwang, nicht so schwierig und entscheidend gewesen wären und alle Koordination erforderten. Man sah ihn zu Pferde mit seinem Signalistenkorps, ein kleiner Pulk an der rechten Seite der Attacke, wo er ihren Verlauf übersehen konnte und nicht von der aufgehenden Sonne geblendet wurde. Auric versuchte aus seiner Haltung etwas über den Fortgang des Kampfes abzulesen. Obwohl er sich auf dem Pferderücken am höchsten Punkt ihrer Seite der Talmündung befand und der sanft aufwärtslaufende Hang sich auf seinen Überblick günstig auswirkte, war es schwer aus dem wüsten Gewimmel, das sich für ihn zum größten Teil nur in Helmen und blitzenden Waffen darstellte viel über den Verlauf des Kampfes abzulesen. Seine Augen blieben auf den Punkt des Zusammentreffens der Heere geheftet, er knetete seine Hände, er biss auf die Innenseite seiner Unterlippe, und er wartete, er betete, dass etwas geschah.
Im Augenwinkel sah er Jag die Hand heben, und fast im gleichen Moment flog das Schmettern des Hornsignals in den Morgenhimmel.
Ihre Seite der Front geriet in Bewegung. Für den unvorbereiteten Betrachter musste es von hier hinten wirken, als wären ihre Kräfte auf zu starken Widerstand gestoßen und als würde sich die Kraft ihrer Offensive nun brechen, wie sich die Kraft einer Welle, die auf den Strand trifft, sich in Kronen und Kämmen bricht und ausläuft. Es wirkte genauso, als würde die konzentrierte Kraft der Spitze ihres Angriffskeils in die Breite getrieben. Als würde sie ihre Wucht verlieren. Aber hier wohnte dieser Bewegung innerhalb der schwärmenden Masse ein Element der Regelmäßigkeit, der Ordnung inne, das diesen imaginären unvorbereiteten Beobachter hätte stutzen lassen. Das Auric dagegen mit Erleichterung erfüllte. Denn nicht die Kraft des Feindes zwang ihnen diese Bewegung auf; sie ging von ihnen aus und war Teil ihrer Taktik.
Der Feind erlebte das, was sie ihn bisher noch nicht hatten sehen lassen. Das woran Auric und seine Soldaten so lange gearbeitet und gefeilt hatten.
Die scharfe Klinge der Waffe, die er geschmiedet hatte.
Von weit weg, etwa von einem Hügel herab gesehen, hatte dieses Manöver eine eigene, in seiner kalten Präzision bestechende Ästhetik.
Er hatte es schon oft beobachtet. In der Zeit, als sie gemeinsam diese Taktiken und Kampfesweisen entwickelt hatten. Durch Jahre und beinahe die halbe Breite des naugarischen Kontinents von ihm getrennt.
Es war ein Morgen wie dieser gewesen. Er hatte mit der Gruppe seiner Vertrauten, seiner Offiziere, die mit ihm diese Waffe schmiedeten, auf einer Anhöhe gestanden, nicht weit von den Mauern eines Klosters des Duomnon-Mysteriums. Der Klang der Glocken, der Gesang der Mönche war in der Morgenfrühe zu ihnen herüber geweht. Kudai, vor ein paar Wochen erst zum Major befördert, hatte neben ihm gestanden, und das Manöver, das sich zu ihren Füßen abspielte mit konzentriertem Blick gemustert, ausnahmsweise ohne ein Grinsen um seine Mundwinkel. Er war genauso gespannt, wie Auric, wie dieses in den Einzelheiten hart und ausdauernd trainierte Manöver in seiner Gesamtheit gelingen würde.
Ein Keil von Soldaten, eine Masse von Menschen, in nur langsamer Vorwärtsbewegung begriffen, wie durch einen Widerstand leistenden Feind, teilte sich plötzlich in kleine Gruppen auf, in der wimmelnden vorher anscheinend nur durch eine grobe Gesamtform zusammengehaltenen Menschenmasse wurden Kraftlinien und Zusammenhänge, Zentren und Bindungen sichtbar. Es war ein Schauspiel, in dem geometrische Schönheit sich mit organischen Mustern und Bewegungen vereinte, ein Ineinanderdrängen ornamentaler Strömungen aus vielen einzelnen Punkten, jeder von ihnen ein Soldat, ein Uniform, Rüstung und Waffen tragender Mensch. Wie bei einem Kaleidoskop schoben sie sich in präziser Vervielfachung auseinander. Aus einem einzigen großen Angriffskeil wurden viele keilförmige Kleingruppen, die sich wie in den Bewegungen eines einzigen großen von einem übergeordneten Zusammenhalt gesteuerten Organismus, zu den Seiten hin ausbreiteten. Aus einem einzigen Keil wurde eine Front von Keilen.
Der trainierte Zusammenhalt ihrer Kleingruppen.
Der Unterschied zu diesem Morgen heute war nur, dass es damals keinen Feind, kein Blut, keine Verstümmelungen und keine Toten gegeben hatte.
Aus einem Keil sich gegen den Schildwall der Valgaren werfender idirischer Soldaten wurde eine breite Front von Einzelkeilen, die sich in die Masse des Feindes
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