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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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Neugier bei der Sache. Das, was Darachel von sich gesagt hatte, traf in gleichem Maße auf alle Ninraé zu. Sie lebten von den Vorgängen in den Ländern dort draußen zurückgezogen, sie waren weltfremd. Aber einige von ihnen hatten ein großes Interesse an den Dingen einer Welt, von der sie sich ihre Rasse als Ganzes abgewendet hatte. Aus welchem Impuls auch immer. Wer auch immer diesen Rückzug beschlossen hatte.  
    Er fragte sich allmählich immer mehr, was es für Entscheidungsstrukturen bei dieser Rasse gab. Und was es mit diesen merkwürdig erlauchten und durchgeistigten Enthravanen auf sich hatte. Aber Darachel war seinen Fragen bisher immer ausweichend begegnet.
    Jedenfalls war das Interesse, das die Ninraé seinen kleinen privaten Fechtlektionen entgegenbrachten, so gestiegen, dass seine privaten Räume schon bald nicht mehr ausgereicht hatten. Und es schien ihm, als wären die Ninraé, die hinzugezogen wurden, immer solche, die auf eine besondere, verschwiegene Weise mit dem kleinen Kreis, dem er zuerst begegnet war, verbunden waren. Irgendetwas ging hier vor, das er nicht begriff. Vielleicht, weil er insgesamt auch die Kultur der Ninraé noch nicht verstand.
    Der Weg durch die Korridore von Himmelsriff hierhin zu dieser Halle, wo ihre Übungen stattfanden, war für ihn nicht mehr annähernd so verwirrend und entkräftend wie sein erster Ausflug aus der bekannten Flucht der Räume seiner Genesung heraus mit Darachel und Siganche.
    Wahrscheinlich deutete dies darauf hin, dass sich sein Zustand verbesserte. Aber er lernte tatsächlich auch, mit der Architektur von Himmelsriff zurecht zu kommen und sich darin zu orientieren. Die anderen Besonderheiten dieses Ortes, die alles umgebenden Schleier der Unschärfe, das Changieren von Realität und Wahrscheinlichkeit, würden für ihn zwar immer eine Quelle der Verwunderung darstellen, aber er lernte, sie zu akzeptieren und damit umzugehen, so wie er es auch vorher schon innerhalb der ihm zugewiesenen Räume gelernt hatte.
    Er stoppte neben einem der Übenden, blickte zu seiner Beinarbeit herab. Für ihr Training trugen die Ninraé hier nicht ihre grauen, in vielen Lagen fallenden Gewänder, sondern praktischere, schlichtere Kleidung, ebenfalls grau, klar in den Formen, und um Arme und Beine gerade so weit fallend, das sie eine gute Bewegungsfreiheit boten. Er sah auch hier eine Eleganz der Bewegungen, die zwar bewundernswert, hier aber unangebracht war. „Kürzer! Direkter!“, rief er dem übenden Ninraé zu. Er nahm neben ihm die Grundhaltung ein und demonstrierte den Rhythmus der Schrittfolgen. „So“, sagte er, „siehst du? In den Grundzügen knappe, forsche Schritte, sicherer Stand. Wer weit ausgreift, kann leicht zu Fall gebracht werden.“ Der Ninraé sah ihm aufmerksam zu, nahm dann seine Übungen wieder auf. Auric setzte seinen Weg die Reihen entlang fort, doch sein Blick schweifte umher, von den Übenden herauf zu Wänden und Decke.
    Was diese Halle, in der ihre Lektionen stattfanden, selber betraf, so war etwas an ihr, bei dem er sich nicht sicher war, ob es etwas mit diesen Besonderheiten von Himmelsriff zu tun hatte oder etwas anderem. Wenn er diese Räume betrat, verspürte er etwas, das ihn an die untergründigen Anmutungen und Intuitionen erinnerte, die er auch schon bei seltenen Gelegenheiten an anderen Orten empfunden hatte.  
    Zum Beispiel, als er in der Söldnerkompanie des Hauses Trevante die Felstreppen hochgestiegen war, die zu dem Kinphaurenbauwerk führten, in dem sie gegen die Kinphaurentiere und den Kyprohraig hatten kämpfen müssen. Das Bauwerk, in dem der Kerker des gefangenen Silaé gewesen war. Er hatte etwas gespürt, was die anderen, die dabei gewesen waren, nicht empfanden. Beim Aufstieg und während des Endkampfes mit dem Kyprophraigen, als sie das Siegel, der das Geisteswesen festsetzte, zerstört hatten.  
    Oder lange vorher, als er bei den skrimarischen Jungtrupps gewesen war. Bei dieser seltsamen Vision im Angesicht der Kinphaurenfeste weit im Norden, im Hexenland. Alle im Zug hatten etwas Unheimliches an der uralten Nichtmenschenfeste gespürt. Aber bei ihm war es mehr gewesen, er hatte diese merkwürdige Vision gehabt.
    Sie schienen jetzt zurückzukehren, diese seltsamen Empfindungen. Sie schienen sacht und unauffällig anzuwachsen. Dünn und fein, doch präsent. Zunächst nach der unglaublichen Begebenheit während dieses aussichtslosen Kampfes tief in Kammern und Gängen des uralten Bauwerks, als inmitten des

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