Der Keim des Verderbens
ein pockenähnliches Virus, allerdings bislang nur auf Tangier Island, wie es scheint -achtzehn Meilen vor der Küste Virginias. Bisher wurden zwei Todesfälle gemeldet, und eine weitere Person ist erkrankt. Außerdem war ein kürzlich aufgefundenes Mordopfer vermutlich mit diesem Virus infiziert. Es besteht der Verdacht, daß das Virus durch die Manipulation von Warenproben eines VitaAromatherapie-Gesichtssprays verbreitet wird.«
»Das steht noch nicht fest«, kam es von Miles.
»Die Proben müßten jeden Moment hier sein«, sagte Martin aus Atlanta. »Wir werden sofort mit den Tests anfangen, dann haben wir hoffentlich bis morgen abend eine Antwort. In der Zwischenzeit werden die Sprays so lange aus dem Verkehr gezogen, bis wir genau wissen, womit wir es hier zu tun haben.«
»Sie können doch einen PCR-Test machen, um zu sehen, ob es sich um das gleiche Virus handelt«, sagte Miles zu den Monitoren.
Martin nickte. »Ja, das können wir.«
Miles blickte von einem zum andern. »Und was heißt das für uns? Daß es da draußen irgendeinen Verrückten gibt, der als Mordwerkzeug eine Krankheit benutzt? Woher wollen wir denn wissen, ob diese verdammten kleinen Sprühdosen nicht schon über das ganze Land verteilt sind?«
»Ich glaube, der Killer läßt sich Zeit«, setzte Wesley zu dem an, was er am besten beherrschte. »Angefangen hat er mit nur einem Opfer. Als das die beabsichtigte Wirkung erzielt hatte, nahm er sich eine winzige Insel vor. Und jetzt, wo auch das zum erwünschten Ziel geführt hat, torpediert er eine Dienststelle der Gesundheitsbehörde mitten in der Stadt.« Er sah mich an. »Er wird immer weiter gehen, wenn wir ihn nicht aufhalten oder einen Impfstoff entwickeln. Außerdem gibt es noch einen weiteren Grund, aus dem ich annehme, daß die ganze Angelegenheit im Moment noch lokal begrenzt ist: Offenbar hat der Täter die Gesichtssprays persönlich verteilt. Die Frankierung auf den Verpackungen ist gefälscht. Es sollte lediglich so aussehen, als wären sie mit der Post versandt worden.«
»Na, das nenne ich eine Produktfälschung mit allem Drum und Dran«, sagte Colonel Fujitsubo zu ihm.
»Für mich ist das Terrorismus.«
»Mit welchem Ziel?«
»Das wissen wir noch nicht«, erklärte Wesley.
»Wir haben hier jedoch ein sehr viel größeres Problem als im Falle des Tylenol-Killers oder des Unabombers«, sagte ich.
»Die beiden bringen nur jeweils die Person um, die eine Tylenol-Kapsel schluckt oder ein Bombenpaket öffnet. Ein Virus hingegen verbreitet sich weit über das Primäropfer hinaus.«
»Dr. Martin, was können Sie uns über dieses spezielle Virus sagen?« fragte Miles.
»Uns stehen vier traditionelle Testmethoden zum Nachweis von Pocken zur Verfügung.« Steif starrte er uns vom Bildschirm herunter an. »Unterm Elektronenmikroskop zum Beispiel war das Variola-Virus klar zu erkennen.«
»Pocken?« brüllte Miles fast. »Sind Sie sicher?«
»Moment«, unterbrach Martin ihn. »Lassen Sie mich ausreden. Außerdem haben wir mit Hilfe von Agar-Gel Antigene gefunden. Die Kultur, die wir mit der Chorioallantoismembran eines Hühnerembryos angesetzt haben, und die anderen Gewebekulturen werden noch zwei bis drei Tage brauchen. Die Ergebnisse liegen uns also noch nicht vor. Wir haben jedoch mittels eines PCR-Tests nachgewiesen, daß es sich um eine Pockenvirenart handelt. Wir wissen nur noch nicht, um welche. Eine höchst merkwürdige Angelegenheit. Bisher ist dieses Virus jedenfalls noch nicht bekannt. Es sind weder Affenpocken noch Weiße Pocken und auch nicht die klassischen Variola major oder Variola minor. Allerdings scheint es damit verwandt zu sein.«
»Dr. Scarpetta«, sagte Fujitsubo. »Können Sie mir etwas über die Inhaltsstoffe dieses Gesichtssprays sagen?«
»Destilliertes Wasser und ein Duftstoff. Die Zusammensetzung war nirgends aufgeführt, aber das sind normalerweise die Hauptbestandteile solcher Sprays«, sagte ich.
Er schrieb mit. »Steril?« Vom Monitor aus schaute er uns an.
»Das will ich doch hoffen, schließlich steht in der Gebrauchsanweisung, man solle sich das Gesicht und die Kontaktlinsen damit einsprühen«, erwiderte ich.
»Dann stellt sich die Frage«, fuhr Fujitsubo via Satellit fort, »wie lange diese verseuchten Sprays lagerfähig sind. Variola-Viren haben in einer feuchten Umgebung keine sonderlich lange Lebenszeit.«
»Stimmt«, sagte Martin und rückte seinen Ohrhörer zurecht.
»Getrocknet halten sie sich sehr gut, und bei Raumtemperatur
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