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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Namen, und die Häuser waren prächtige Villen im Georgian- oder Tudor-Stil. In den Fenstern, an denen ich vorbeifuhr, war Licht, und hinter den Scheiben konnte ich edle Möbel, Kronleuchter und Menschen sehen, die umhergingen oder vorm Fernseher saßen. Offenbar zog außer mir niemand in dieser Stadt die Vorhänge zu. Die Blätter hatten zu fallen begonnen. Es war kühl und bedeckt. Als ich in meine Einfahrt einbog, stieg Rauch aus dem Schornstein auf, und der grüne Suburban meiner Nichte parkte vorm Haus.
    »Lucy?« rief ich, während ich die Tür schloss und die Alarmanlage abstellte.
    »Hier bin ich«, antwortete sie aus dem Flügel des Hauses, in dem sie immer wohnte, wenn sie bei mir war. Als ich auf mein Arbeitszimmer zusteuerte, um meinen Aktenkoffer und den Stapel Arbeit abzulegen, den ich für den Abend mit nach Haus genommen hatte, kam sie aus ihrem Zimmer. Sie zog sich gerade ein leuchtend orangefarbenes Sweatshirt der University of Virginia über den Kopf.
    »Hi.« Sie umarmte mich lächelnd. Es gab kaum etwas an ihr, das sich weich anfühlte.
    Ich hielt sie auf Armlänge von mir fern und musterte sie erst einmal von oben bis unten, wie ich es immer tat.
    »Oh-oh«, sagte sie scherzhaft. »Große Inspektion.« Sie streckte die Arme von sich weg und drehte sich im Kreis, als erwartete sie, durchsucht zu werden. »Schlaukopf«, sagte ich.
    Tatsächlich wäre es mir lieber gewesen, wenn sie ein bisschen fülliger gewesen wäre, aber sie sah ausgesprochen hübsch und gesund aus. Ihr kastanienbraunes Haar war kurz, aber weich frisiert. Ich konnte sie immer noch nicht anschauen, ohne in ihr die frühreife, widerspenstige Zehnjährige zu sehen, die niemanden hatte außer mir.
    »Bestanden«, sagte ich.
    »Tut mir leid, daß ich erst so spät gekommen bin.«
    »Was war es doch gleich, das dich aufgehalten hat?« fragte ich. Sie hatte mich tagsüber angerufen, um mir zu sagen, daß sie es nicht vorm Abendessen schaffen würde.
    »Ein Staatsanwalt vom Oberlandesgericht ist auf die Idee gekommen, uns mit seinem Gefolge einen Besuch abzustatten. Und die haben natürlich erwartet, daß sie wie üblich vom HRT was geboten kriegen.«
    Wir gingen in die Küche.
    »Ich hab' ihnen Toto und Tin Man vorgeführt«, fügte sie hinzu.
    Das waren zwei Roboter.
    »Ein bisschen Glasfaseroptik und Virtual Reality. Das Übliche halt, aber es ist schon ziemlich cool. Erst sind die Roboter mit Fallschirmen aus einem Helikopter abgesprungen, und dann habe ich sie per Fernsteuerung mit Laserstrahlen eine Metalltür durchschmoren lassen.«
    »Doch hoffentlich keine Flugkunststücke mit dem Helikopter«, sagte ich.
    »Dafür waren die Jungs zuständig. Ich hab' meinen Kram vom Boden aus gemacht.« Froh war sie darüber nicht.
    Dummerweise wollte Lucy nämlich gern Flugkunststücke mit dem Hubschrauber machen. Das HRT bestand aus fünfzig Agenten. Sie war die einzige Frau, und sie reagierte überaus empfindlich, wenn man sie keine gefährlichen Dinge tun ließ. Meiner Meinung nach war das auch nicht das richtige für sie, aber natürlich war ich nicht gerade objektiv.
    »Mir ist es nur recht, wenn du bei deinen Robotern bleibst«, sagte ich. »Irgendwas riecht hier gut. Was hast du deiner müden alten Tante zu essen gemacht?«
    »Frischen Spinat, mit Knoblauch in etwas Olivenöl angebraten, und dann werd' ich noch ein paar Filets grillen. Heute ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich Rindfleisch esse. Dein Pech, wenn du keins willst. Ich hab' sogar eine Flasche richtig guten Wein besorgt. Den haben Janet und ich neulich entdeckt.«
    »Seit wann können sich FBI-Agenten guten Wein leisten?«
    »He«, sagte sie, »so schlecht verdiene ich gar nicht. Außerdem hab' ich viel zuviel zu tun, um das Geld auszugeben.«
    Kleidung kaufte sie sich dafür jedenfalls nicht. Wann immer ich sie sah, trug sie entweder Drillich oder einen Jogginganzug. Nur gelegentlich waren es mal Jeans und eine abgerissene Jacke oder ein Blazer. Wenn ich ihr anbot, ihr irgendwas von meinen Sachen abzutreten, lachte sie mich aus. Meine Juristinnenkostüme und Stehkragenblusen wollte sie nun wirklich nicht haben, und ehrlich gesagt war sie mit ihrer durchtrainierten Figur auch schlanker als ich. Vermutlich hätte ihr sowieso nichts von meiner Garderobe gepaßt.
    Ein riesengroßer Mond stand tief am wolkigen, dunklen Himmel. Wir zogen uns Jacken über, setzten uns auf die Terrasse und tranken Wein, während Lucy grillte. Da die Kartoffeln, die sie zum Backen in die

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