Der Keim des Verderbens
in seinen Dienstbereich fiel, sich von den anderen abhob.
»Was macht es für einen Unterschied, ob man durch die Gelenke oder durch die Knochen hindurchsägt?« fragte er mich.
»Durch die Gelenke zu sägen ist schwieriger«, sagte ich. »Dafür braucht man anatomische Kenntnisse, unter Umständen sogar praktische Erfahrung.«
»Es könnte also ein Schlachter gewesen sein oder jemand, der in einer Fleischfabrik arbeitet.«
»Ja«, antwortete ich.
»Das würde auch die Verwendung einer Fleischersäge erklären«, fügte er hinzu.
»Ja. Und die unterscheidet sich deutlich von einer Autopsiesäge.«
»Inwiefern?« Das war Ring.
»Eine Fleischersäge ist eine Handsäge, die dafür konstruiert ist, Fleisch, Knorpel und Knochen zu schneiden«, fuhr ich fort und blickte in die Runde. »So eine Säge ist in der Regel etwa fünfunddreißig Zentimeter lang, hat eine sehr dünne Klinge und zehn meißelförmige Zähne pro Zoll. Der Schnitt erfolgt in der Vorwärtsbewegung und erfordert eine gewisse Kraft seitens des Benutzers. Die Autopsiesäge hingegen schneidet kein Gewebe. Das muss erst mit einem Messer oder etwas ähnlichem durchtrennt und zurückgeklappt werden.«
»Und eine solche Säge wurde in diesem Fall benutzt«, sagte Wesley zu mir gewandt.
»Auf dem Knochen finden sich Schnittspuren, die charakteristisch für ein Messer sind. Eine Autopsiesäge«, fuhr ich mit meinen Ausführungen fort, »funktioniert nur auf harten Oberflächen. Die Schnittbewegung ist oszillierend mit einem kurzen Hub, das heißt, sie dringt nur sehr allmählich ein. Ich weiß, daß Sie alle damit vertraut sind, aber ich habe trotzdem Fotos mitgebracht.«
Ich öffnete einen Umschlag und holte 18x24-Fotos der von Canter untersuchten Knochenenden sowie der vom Mörder darauf hinterlassenen Sägespuren heraus. Ich schob jedem einen Abzug zu.
»Wie Sie sehen können«, fuhr ich fort, »variiert hier die Schnittrichtung, und die Schnittflächen sind sehr glatt.«
»Damit wir uns richtig verstehen«, sagte Grigg. »Es handelt sich also um genau so eine Säge, wie Sie sie bei Ihren Autopsien benutzen.«
»Nein. Nicht ganz«, sagte ich. »Ich verwende normalerweise ein größeres Sägeblatt.«
»Die Spuren stammen aber auf jeden Fall von einer chirurgischen Säge.« Er hielt das Foto hoch.
»Richtig.«
»Wo bekommt ein normaler Mensch so etwas her?«
»Arztpraxen, Krankenhäuser, Leichenhallen, Hersteller medizinischer Geräte«, antwortete ich. »Da gibt es viele Möglichkeiten. Diese Sägen sind für jedermann käuflich.«
»Er könnte sie also bei einem Versandhaus bestellt haben, ohne Mediziner zu sein.«
»Ohne weiteres«, sagte ich.
Ring sagte: »Er könnte sie aber auch gestohlen haben. Vielleicht wollte er diesmal etwas Neues machen, um uns zu verwirren.«
Lucy sah ihn an. Ich wusste, was der Ausdruck in ihren Augen bedeutete. Sie hielt Ring für einen Volltrottel.
»Wenn wir es hier mit demselben Mörder zu tun haben«, sagte sie, »warum verschickt er dann plötzlich Dateien übers Internet, obwohl er auch das vorher noch nie getan hat?«
»Gute Frage.« Frankel nickte.
»Was für Dateien?« fragte Ring sie.
»Dazu kommen wir noch.« Wesley faßte zusammen. »Also: Die Begehungsweise ist eine andere, und es wurde ein anderes Tatwerkzeug benutzt als bisher.«
»In ihrer Luftröhre befindet sich Blut«, sagte ich und ließ die Autopsieschaubilder und E-Mail-Fotos herumgehen. »Daraus schließen wir, daß sie eine Kopfverletzung erlitten hat. Da wir in den anderen Fällen die genaue Todesursache nicht kennen, wissen wir nicht, ob es in diesem Punkt Übereinstimmungen gibt oder nicht. Die radiologischen und anthropologischen Befunde deuten jedenfalls darauf hin, daß dieses Opfer erheblich älter ist als die anderen. Außerdem haben wir Fasern gefunden, die darauf schließen lassen, daß die Leiche in eine Art Abdeckplane eingewickelt war, als sie zerstückelt wurde. Auch darin unterscheidet sich dieser Fall von den anderen.«
Ich ging noch näher auf die Fasern und die Farbspritzer ein, wobei mir nicht entging, daß Ring die ganze Zeit meine Nichte beobachtete und sich Notizen machte.
»Dann ist also anzunehmen, daß sie in einer Werkstatt oder einer Garage zerstückelt wurde«, sagte Grigg.
»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte ich. »Auf den Fotos, die ich per E-Mail erhalten habe, läßt sich nur erkennen, daß sie in einem Raum mit hellgrauen Wänden und einem Tisch entstanden sind.«
»Ich möchte noch einmal
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