Der Keim des Verderbens
hat«, sagte Frankel, der auch viel mit Computern arbeitete.
»Also gut, die Fotos wurden eingescannt«, sagte ich zu Lucy.
»Und dann? Auf welchem Weg sind sie zu mir gekommen?«
»Zuerst lädt man die Datei hoch, in diesem Fall eine Grafik- oder GIF-Datei«, erwiderte sie. »Um sie erfolgreich versenden zu können, muss man normalerweise die Anzahl der Daten- und Stopbits, die Parität und so weiter festlegen, je nachdem, was für eine Konfiguration die Gegenseite verwendet. Das ist alles andere als anwenderfreundlich. Bei AOL geschieht das alles jedoch automatisch. Das Versenden dieser Dateien war also einfach. Man lädt sie hoch, und schon sind sie unterwegs.« Sie sah mich an.
»Und das läuft alles über die Telefonleitung«, sagte Wesley.
»Richtig.«
»Läßt sich das zurückverfolgen?«
»Da sitzt die Squad 19 bereits dran.« Das war die FBI Einheit, die in Fällen rechtswidriger Internetnutzung ermittelte.
»Die Frage ist nur, worin dabei das Vergehen bestehen soll«, erklärte Wesley. »Falls die Fotos gefälscht sind, kann man dem Urheber höchstens Perversität vorwerfen, und die ist leider nicht strafbar.«
»Die Fotos sind nicht gefälscht«, sagte ich.
»Das ist schwer zu beweisen.« Er sah mir fest in die Augen.
»Was ist, wenn sie nicht gefälscht sind?« fragte Ring.
»Dann sind sie Beweisstücke für eine Straftat«, sagte Wesley und fügte nach einer Pause hinzu: »Verstoß gegen Artikel achtzehn, Paragraph acht-sieben-sechs. Briefliche Übermittlung von Drohungen.«
»Wem wird hier gedroht?« fragte Ring.
Wesleys Blick war immer noch auf mich gerichtet. »Dem Empfänger natürlich.«
»Eine offene Drohung war das nicht«, gab ich zu bedenken.
»Hauptsache, es reicht für einen Haftbefehl.«
»Zuerst müssen wir diese Person finden«, sagte Ring. Er gähnte und streckte sich auf seinem Stuhl wie eine Katze. »Wir warten darauf, daß er sich wieder einloggt«, erwiderte Lucy. »Wir sind rund um die Uhr online.« Sie fuhr fort, auf der Tastatur ihres Laptops herumzutippen und den steten Fluß von versandten Botschaften auf ihrem Monitor zu verfolgen. »Sie müssen sich ein weltumspannendes Telefonsystem mit etwa vierzig Millionen Teilnehmern vorstellen, für das es kein Telefonbuch, keine Vermittlung und keine Auskunft gibt - das ist das Internet. Eine Teilnehmerliste existiert nicht. Auch bei AOL gibt es keine, es sei denn, man füllt freiwillig ein Profil aus. Alles, was wir in diesem Fall haben, ist das Pseudonym deadoc.«
»Woher wusste er, wohin er Dr. Scarpetta die Mail schicken sollte?« Grigg sah mich an.
Ich erklärte es ihm und fragte dann Lucy: »Und das läuft alles über Kreditkarte?«
Sie nickte. »Soviel haben wir schon herausbekommen. Eine American-Express-Karte auf den Namen Ken L. Perley. Ein pensionierter High-School-Lehrer. Siebzig, lebt allein in Norfolk.«
»Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, wie jemand an seine Kreditkarte gekommen sein kann?« fragte Wesley.
»Offenbar benutzt Perley seine Karte nicht oft. Das letzte Mal in einem Restaurant in Norfolk, dem Red Lobster. Das war am zweiten Oktober. Er ist mit seinem Sohn essen gegangen. Die Rechnung betrug siebenundzwanzig Dollar und dreißig Cents, einschließlich Trinkgeld, und er hat mit AmEx gezahlt.
Weder er noch sein Sohn können sich erinnern, daß an jenem Abend irgend etwas Ungewöhnliches vorgefallen wäre. Beim Zahlen lag die Kreditkarte allerdings ziemlich lange gut sichtbar auf dem Tisch, weil es im Restaurant sehr voll war. Irgendwann, während die Karte noch dort lag, ging Perley zur Toilette, und der Sohn trat vor die Tür, um eine zu rauchen.«
»Meine Güte. Das war wirklich clever. Hat einer vom Servicepersonal bemerkt, daß jemand zu dem Tisch hinübergegangen ist?« fragte Wesley Lucy.
»Wie gesagt, es war voll. Wir überprüfen jede Rechnung, die an jenem Abend abgebucht wurde, um eine Gästeliste zu erstellen. Schwierig wird's allerdings bei denjenigen, die bar bezahlt haben.«
»Und dafür, daß die AOL-Gebühren schon auf Perleys American-Express-Abrechnungen auftauchen, ist es wohl noch zu früh«, sagte er.
»Stimmt. AOL zufolge wurde der Account erst kürzlich eröffnet. Eine Woche nach dem Essen im Red Lobster, um genau zu sein. Perley ist sehr hilfsbereit«, fügte Lucy hinzu. »Und AOL läßt den Account gebührenfrei weiterlaufen, für den Fall, daß der Täter uns noch etwas schicken will.«
Wesley nickte. »Wir können zwar nicht davon ausgehen, aber wir sollten
Weitere Kostenlose Bücher