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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ein paar Tage verbrachte. »Einzelheiten bekanntzugeben, durch die wir möglicherweise Unterstützung von der Bevölkerung bekommen, ist eine Sache ...«
    Er sprach noch weiter, doch ich hörte nicht mehr zu. Drinnen saß Wesley, die Lesebrille auf der Nase, bereits an der Stirnseite eines spiegelblanken Tisches. Er sichtete gerade einen Haufen großformatiger Fotos mit dem Stempel des Sheriffs Departments von Sussex County auf der Rückseite.
    Grigg saß mit einem Stapel Papiere vor sich ein paar Stühle weiter und betrachtete irgendeine Skizze. Ihm gegenüber hatte Frankel vom Violent Criminal Apprehension Program Platz genommen, der Abteilung zur Dokumentation und Auswertung von Gewaltverbrechen, kurz: VICAP, und am anderen Ende des Tischs meine Nichte. Sie tippte auf einem LaptopComputer und blickte nur kurz auf, ohne mich zu begrüßen.
    Ich nahm wie gewohnt rechts von Wesley Platz, öffnete meinen Aktenkoffer und begann, meine Unterlagen zu ordnen.
    Ring setzte sich auf meine andere Seite und führte unsere Unterhaltung fort.
    »Wir müssen davon ausgehen, daß dieser Kerl die ganze Geschichte in den Nachrichten verfolgt«, sagte er. »Dadurch verschafft er sich den letzten Kick.«
    Alle Anwesenden hörten ihm zu. Alles sah auf ihn, außer seiner Stimme war nichts zu hören. Er sprach sachlich und leise, als ginge es ihm lediglich darum, einen Sachverhalt darzustellen, ohne sich etwa selbst in den Vordergrund drängen zu wollen. Ring war ein exzellenter Schauspieler, und was er als nächstes vor den Ohren meiner Kollegen zu mir sagte, machte mich unglaublich wütend.
    »Ich glaube zum Beispiel, und da muss ich ganz offen sein«, sagte er zu mir, »daß es keine gute Idee war, die Hautfarbe der Leiche, ihr Alter und all das bekanntzugeben. Vielleicht habe ich unrecht«, er blickte in die Runde, »aber momentan ist es doch wohl das beste, so wenig wie möglich zu sagen.«
    »Ich hatte keine andere Wahl«, sagte ich ungewollt scharf.
    »Schließlich hatte bereits jemand Fehlinformationen verbreitet.«
    »Aber so etwas passiert doch immer wieder. Ich finde, daß wir uns davon nicht verleiten lassen sollten, zu früh mit Einzelheiten herauszurücken«, sagte er mit gleichbleibender Ernsthaftigkeit.
    »Wenn die Öffentlichkeit glaubt, das Opfer sei ein asiatisches Mädchen, das noch nicht die Pubertät erreicht hat, hilft uns das nicht im geringsten.« Ich sah ihm direkt in die Augen.
    Die anderen beobachteten uns aufmerksam.
    »Ganz meine Meinung.« Das war Frankel vom VICAP. »Wir würden aus dem ganzen Land Vermißtenanzeigen erhalten, mit denen wir nichts anfangen können. Ein derartiger Fehler muss berichtigt werden.«
    »Ein derartiger Fehler hätte gar nicht erst passieren dürfen«, sagte Wesley und ließ den Blick über den Brillenrand hinweg durch den Raum schweifen, wie es seine Art war, wenn er nicht zum Scherzen aufgelegt war. »Unsere Runde wird heute vervollständigt durch Detective Grigg vom Sheriffs Department von Sussex und Special Agent Farinelli.« Er sah zu Lucy hinüber. »Sie ist die Technikspezialistin des HRT und unterhält das Criminal Artificial Intelligence Network, das wir alle unter der Abkürzung CAIN kennen. Sie ist hier, um uns in einer Computerangelegenheit zu helfen.«
    Meine Nichte blickte nicht auf, sondern haute mit konzentriertem Gesichtsausdruck weiter in die Tasten. Ring taxierte sie, als wollte er sie auffressen.
    »Was für eine Computerangelegenheit?« fragte er, wobei er nicht aufhörte, sie mit den Augen zu verschlingen.
    »Dazu kommen wir später«, sagte Wesley und ging rasch zum nächsten Punkt über. »Lassen Sie mich Ihnen zuerst einen Überblick geben, und dann beschäftigen wir uns mit den Einzelheiten. Angesichts der eklatanten Unterschiede, die dieser letzte Mülldeponiemord allein hinsichtlich der Wahl des Opfers zu den vorangegangenen vier aufweist - oder neun, wenn wir die in Irland mitzählen -, komme ich zu dem Schluß, daß wir es hier mit einem anderen Täter zu tun haben. Dr. Scarpetta wird Ihnen ihre medizinischen Ergebnisse vortragen, die meiner Meinung nach keinen Zweifel daran lassen, daß die Begehungsweise im jetzigen Fall für den bisherigen Täter ganz und gar untypisch ist.«
    Bis zum Mittag besprachen wir meine Berichte, Schaubilder und Fotos. Man stellte mir viele Fragen, vor allem Grigg, der sehr viel Wert darauf legte, jeden Aspekt der Mordserie bis ins kleinste zu durchleuchten, um besser beurteilen zu können, inwiefern der neue Fall, der

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