Der Keim des Verderbens
Variola major hin, besser bekannt unter der Bezeichnung Pocken. Ich schaltete mein Mikroskop ein, legte den Objektträger darunter, stellte auf 400fache Vergrößerung, justierte die Schärfe, und schon wurden, dicht geballt im Zentrum, die zytoplasmatischen Guarnieri-Körperchen sichtbar. Wieder schoß ich Polaroids von etwas, was einfach nicht wahr sein konnte. Ich schob den Stuhl zurück und begann, auf und ab zu gehen. An der Wand tickte laut eine Uhr.
»Wo haben Sie sich angesteckt?« sagte ich zu ihr. »Wo bloß?«
Ich ging wieder nach draußen, wo Crockett auf der Straße parkte. Von seinem Wagen hielt ich jedoch gebührenden Abstand.
»Wir haben ein echtes Problem«, erklärte ich ihm. »Und ich weiß nicht recht, was ich tun soll.«
Die erste Schwierigkeit bestand darin, ein Telefon zu finden, an dem niemand mithören konnte. Ich kam zu dem Schluß, daß das unmöglich war. Ich konnte nicht einfach von einem der Läden im Ort aus telefonieren, geschweige denn bei einem Nachbarn oder aus dem Wohnwagen des Polizeichefs.
Da blieb nur mein Handy, über das ich ein solches Telefonat normalerweise nie geführt hätte. Aber ich hatte keine andere Wahl. Um Viertel nach drei ging beim U.S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases, dem medizinischen Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten der U.S. Army, kurz: USAMRIID, im Fort Detrick in Frederick, Maryland, eine Frau ans Telefon.
»Ich muß mit Colonel Fujitsubo sprechen«, sagte ich. »Tut mir leid, aber er ist in einer Besprechung.« »Es ist sehr wichtig.«
»Da müssen Sie morgen wieder anrufen, Ma'am.«
»Dann geben Sie mir wenigstens seinen Assistenten, seine Sekretärin ...«
»Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben: Alle halbwegs entbehrlichen Staatsangestellten sind in Zwangsurlaub geschickt worden .«
»Himmel noch mal!« rief ich entnervt. »Ich sitze hier mit einem infektiösen Leichnam auf einer Insel fest. Möglicherweise stehen wir kurz vor dem Ausbruch einer Seuche. Und Sie sagen mir, ich soll warten, bis Ihr gottverdammter Urlaub zu Ende ist!«
»Wie bitte?«
Im Hintergrund hörte ich pausenloses Telefonklingeln.
»Ich telefoniere von einem Mobiltelefon aus. Die Batterie kann jeden Moment ihren Geist aufgeben.
Unterbrechen Sie um Himmels willen diese Besprechung! Stellen Sie mich zu ihm durch! Sofort!«
Fujitsubo hielt sich im Russell Building am Capitol Hill auf, und dorthin wurde mein Anruf durchgestellt. Ich wußte, daß er sich im Büro irgendeines Senators befand, aber das war mir gleichgültig. Ich erläuterte ihm rasch die Lage und versuchte dabei, meiner Panik Herr zu werden.
»Das kann nicht sein«, sagte er. »Sind Sie sicher, daß es keine Windpocken sind? Oder Masern .«
»Vollkommen sicher. Und egal, was es ist, John, das Virus muß isoliert werden. Ich kann diese Leiche nicht einfach zu mir in die Gerichtsmedizin schicken. Sie müssen das übernehmen.«
Das USAMRIID ist das bedeutendste medizinische Forschungslabor des U.S. Biological Defense Research Program, des staatlichen Programms zur Erforschung biologischer Kampfstoffe, dessen Ziel es ist, die Bevölkerung vor einer möglichen Bedrohung durch B-Waffen zu schützen. Worauf es in diesem Fall ankam, war jedoch, daß das USAMRIID über das größte Labor der Sicherheitsstufe 4 im ganzen Land verfügte.
»Das kann ich nur tun, wenn ein terroristischer Akt vorliegt«, sagte Fujitsubo. »Für Seuchentote sind die CDC zuständig.
Ich glaube, Sie sollten sich eher an die wenden.«
»Das werde ich auch mit Sicherheit irgendwann tun«, sagte ich. »Obwohl bei denen bestimmt auch die meisten Mitarbeiter im Zwangsurlaub sind. Jedenfalls bin ich dort vorhin nicht durchgekommen. Aber die sitzen in Atlanta und Sie in Maryland. Das ist nicht weit von hier, und ich muß diese Leiche hier wegschaffen, so schnell es geht.«
Er schwieg.
»Niemand hofft mehr als ich, daß ich falsch liege«, fuhr ich fort, und der kalte Schweiß brach mir aus, »aber wenn ich recht habe und wir nicht die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen ergreifen .«
»Schon klar, schon klar«, sagte er schnell. »Verdammt noch mal. Im Moment arbeiten wir nur mit einer Notbesetzung.
Okay, geben Sie uns ein paar Stunden. Ich rufe die CDC an.
Wir werden ein Team hinschicken. Wann sind Sie zuletzt gegen Pocken geimpft worden?«
»Da war ich zu jung, als daß ich mich jetzt noch daran erinnern könnte.«
»Sie kommen dann mit der Leiche hierher.«
»Natürlich, dies ist ja mein
Weitere Kostenlose Bücher