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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Fall.«
    Aber ich wußte, was er meinte. Sie mußten mich unter Quarantäne stellen.
    »Erst mal sollten wir sie von der Insel schaffen, alles andere klären wir später«, fügte ich hinzu.
    »Wo finden wir Sie?«
    »Ihr Haus liegt in der Stadtmitte, in der Nähe der Schule.«
    »Auch das noch. Läßt sich ungefähr sagen, wie viele Menschen dem Virus ausgesetzt waren?«
    »Nein. Passen Sie auf: Hier in der Nähe gibt es eine kleine Bucht. Orientieren Sie sich daran. Und an der Methodistenkirche. Sie hat einen hohen Turm. Laut Landkarte gibt es hier noch eine Kirche, aber die hat keinen Turm. Die haben hier zwar einen kleinen Flugplatz, aber je dichter Sie beim Haus landen, desto besser. Dann können wir sie raustragen, ohne daß alle Leute es sehen.«
    »Gut. Eine Panik können wir weiß Gott nicht gebrauchen.«
    Er hielt inne, und seine Stimme wurde ein wenig weicher.
    »Geht es Ihnen gut?«
    »Das will ich doch hoffen.« Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten und meine Hände zitterten.
    »Und jetzt beruhigen Sie sich. Versuchen Sie, sich zu entspannen und sich keine Sorgen mehr zu machen. Wir werden uns um Sie kümmern«, sagte er, und dann war die Leitung tot.
    Bei all dem Irrsinn und dem Morden, das ich während meiner Laufbahn zu Gesicht bekommen hatte, hatte ich immer damit rechnen müssen, daß es am Ende eine Krankheit sein würde, die mich irgendwann ganz still und leise dahinraffte.
    Ich wußte nie, welchen Erregern ich mich aussetzte, wenn ich einen Leichnam öffnete, mit seinem Blut hantierte und die ihn umgebende Luft einatmete. Ich paßte zwar immer auf, daß ich mich nicht schnitt oder mit einer Kanüle stach, aber Hepatitis und HIV waren nicht die einzigen Gefahren. Ständig wurden neue Viren entdeckt, und ich fragte mich oft, ob sie eines Tages den seit Menschengedenken andauernden Krieg gegen uns gewinnen und das Zepter übernehmen würden.
    Ich saß eine Weile in der Küche und lauschte dem Ticken der Uhr, während sich vor dem Fenster mit dem sich neigenden Tag das Licht änderte. Ich befand mich gerade mitten in einer ausgewachsenen Panikattacke, als Crocketts eigenartige Stimme mich plötzlich von draußen rief.
    »Ma'am? Ma'am?«
    Als ich zur Veranda ging und aus der Tür schaute, sah ich auf der obersten Stufe eine kleine, braune Papiertüte und einen Trinkbecher mit Deckel und Strohhalm stehen. Ich nahm beides mit hinein, während Crockett wieder in seinen Wagen stieg. Er war kurz weggefahren, um mir etwas zu essen zu holen, was zwar nicht sehr klug war, aber nett. Ich winkte ihm zu, als sei er mein Schutzengel, und fühlte mich schon ein wenig besser. Ich setzte mich auf die Schaukel und schlürfte schaukelnd gesüßten Eistee aus dem Lokal Fisherman's Corner. Das Sandwich bestand aus gebratener Flunder auf Weißbrot, als Beilage gab es gebratene Jakobsmuscheln. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals etwas so Frisches und Leckeres gegessen zu haben.
    Ich schaukelte, schlürfte Tee und beobachtete durch die rostige Fliegentür die Straße, während der schimmernde rote Sonnenball am Kirchturm hinabglitt und Gänse wie schwarze Vs am Himmel flogen. Als in den Fenstern der Wohnhäuser die Lichter angingen, stellte Crocket seine Scheinwerfer an, und zwei Mädchen auf Fahrrädern radelten im Eiltempo vorüber, die Gesichter mir zugewandt. Ich war sicher, daß sie Bescheid wußten. Die ganze Insel wußte Bescheid. Es hatte sich herumgesprochen, daß das, was ein Stockwerk über mir im Bett lag, Ärzte und die Küstenwache auf den Plan gerufen hatte.
    Ich ging wieder nach drinnen, zog frische Handschuhe an, befestigte meine Maske wieder über Mund und Nase und kehrte in die Küche zurück, um den Abfall zu durchsuchen.
    Der Plastikmülleimer war mit einer Papiertüte ausgeschlagen und unter der Spüle verstaut. Ich setzte mich auf den Boden und untersuchte ein Teil nach dem anderen. Ich hoffte, Hinweise darauf zu finden, wann Pruitt ungefähr krank geworden war. Ihren Müll hatte sie jedenfalls schon eine ganze Weile nicht mehr entsorgt. Die leeren Dosen und Verpackungen von Tiefkühlgerichten waren trocken und verkrustet, die rohen Rüben- und Karottenschalen schrumplig und hart wie billiges Kunstleder.
    Ich ging durch jeden Raum ihres Hauses, durchwühlte jeden Papierkorb, den ich finden konnte. Der im Wohnzimmer hatte den traurigsten Inhalt. Mehrere Zettel mit handgeschriebenen Rezepten für »Flunder auf einfache Art«, »Krabbenfrikadellen« und »Lilas Muscheleintopf« lagen

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