Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
verraten. Es kam zu einem schrecklichen Blutbad. Braedon hätte das Unheil ahnen müssen, wie er sich immer wieder vorwarf, doch seine eigene Überheblichkeit hatte ihn geblendet. Er hatte sich für unbesiegbar gehalten – bis die Ereignisse jener Nacht ihn eines Besseren belehrt hatten.
Dass er überlebte, während andere, ehrenwertere Männer den Tod gefunden hatten, war ihm kein Trost gewesen, damals genauso wenig wie heute. In Wahrheit hatte er vor den schrecklichen Geschehnissen davonzulaufen versucht, aber sosehr er sich auch bemühte, er schien dem Schrecken, dessen Zeuge er geworden war, nicht entkommen zu können.
Robert atmete schwer aus. »Beim Allmächtigen, Braedon. Ich sehe immer noch, wie dir diese Klinge durchs Gesicht fährt. Der Bastard wollte dich aufschlitzen. Es grenzt an ein Wunder, dass du überlebt hast. Dass wir beide überlebt haben, um genau zu sein. Der Leibhaftige muss an jenem Tag auf der Klippe gewesen sein.«
»Nein, nicht der Teufel«, antwortete Braedon. »Ein Mensch.«
Robert beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ein Mensch, dem keine Klinge etwas anhaben kann?«
Braedon starrte ihn an, schaute dann auf seinen Krug und weigerte sich, auf die Bemerkung seines Freundes einzugehen. Doch Robert schien nicht von den damaligen Ereignissen lassen zu wollen, obwohl jene Nacht bereits so viele Monate zurücklag.
»Es war der Leibhaftige, mein Freund. Wie willst du dir sonst das Böse erklären, das wir gesehen haben?«
Braedon hob unschlüssig die Schultern. »Mein Schwerthieb verfehlte ihn. Ich habe ihn nicht getroffen, das war alles.«
»In all den Jahren, die ich dich kenne, hast du noch nie danebengeschlagen. Die von dir geführte Klinge traf auch an diesem Tag sicher wie eh und je. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, so wie du.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich damals sah.«
»Und was war mit der jungen Frau, die wir dort ablieferten?«, fragte Robert. »Erzähl mir nicht, du hättest nicht gesehen, was mich bis zum heutigen Tag nicht loslässt, Braedon. Wie erklärst du dir die Umstände ihres Todes?«
Braedons Miene verzog sich, als er an die Diebin erinnert wurde, die er hatte aufspüren und ausliefern sollen. Ein todgeweihtes Wesen mit silberblondem Haar und einer Schüchternheit, die in einem außerordentlichen Gegensatz zu der Kühnheit stand, mit der es ihr gelungen war, einem so mächtigen Mann wie Braedons Auftraggeber einen Kunstgegenstand von unschätzbarem Wert zu stehlen. Ein Artefakt, das sie nicht mit bloßen Händen zu berühren wagte, aus Angst, es würde sie zerstören. Wie irrsinnig sie ihm vorgekommen war! Und wie widersinnig ihm noch heute alles erschien.
»Wir haben schwarze Magie heraufbeschworen, Braedon. Die Frau hat versucht uns zu warnen. Wir hätten von ihr ablassen sollen – von ihr und diesem verfluchten Kelch, den sie entwendet hatte. Wir hätten auf sie hören müssen. Bei allen Heiligen, woher hätten wir auch wissen sollen, dass sie die Wahrheit sprach?«
»Ich bin nicht gekommen, um über sie zu reden, Robert. Oder über irgendetwas, was damals geschah.« Seine Stimme klang schroff, hörte sich an wie ein wütendes Grollen. Er hielt den Weinkrug fest umklammert, aber schließlich wurde er ein wenig versöhnlicher, als er den Blick hob und seinem Freund in die Augen sah. »Was an jenem Tag geschah, ist vorbei, Robert. Lass uns nicht mehr davon sprechen.«
Robert nickte. »Wie du willst, mein Freund. Ich hatte nicht vor, Erinnerungen zu wecken, die man besser ruhen lassen sollte.«
Aber die Gedanken an damals waren längst heraufbeschworen, und ein bedrückendes Schweigen senkte sich auf den kleinen Raum. Braedon nahm einen großen Schluck von dem Wein, doch auch der konnte den Geschmack von bitterer Galle nicht vertreiben, den er auf seiner Zunge zu spüren glaubte. In aller Deutlichkeit sah er wieder den unbeschreiblichen Feuerwirbel vor sich, der auf der Klippe zerstob. Immer noch konnte er seine Verwirrung und seinen Zorn spüren, die über ihn hereingebrochen waren, als damals ein heilloses Durcheinander begann, das er nicht zu verhindern gewusst hatte. Schließlich waren alle seine Gefährten tot gewesen und hatten in ihrem Blut zu seinen Füßen gelegen. Noch heute spürte er, wie er seine Klinge hatte niedersausen lassen, sah, wie sie seinem Feind in die Schulter gefahren war … und dessen Körper verlassen hatte, ohne ihm auch nur einen einzigen Kratzer zuzufügen.
Unwillkürlich musste er an die
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