Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
aus Ängstlichkeit und hartnäckiger Entschlossenheit gefiel ihm, und ihr Duft, der ihm so dicht vor ihr stehend in die Nase gestiegen war, weckte eine ungezähmte Leidenschaft in ihm.
»Ist es Euch wirklich so wichtig, auf den Kontinent zu gelangen?«, fragte er. Seine Stimme glich einem leisen Grollen, und sein Atem bildete eine weiße Wolke in der kühlen Morgenluft. »Seid Ihr tatsächlich so wild entschlossen, Euren Bruder zu besuchen?«
Stumm blickte sie ihn an. Offenbar hatte das Ausmaß ihres unüberlegten Angebots ihr nun die Sprache verschlagen. Aber sie brauchte ihm die Frage nicht zu beantworten. Braedon sah in ihren Augen, wie dringlich ihr das Anliegen war, er spürte ihre Entschlossenheit und ihre Verzweiflung. Die große, unbändige Angst, die sie unübersehbar beherrschte.
Um sie auf die Probe zu stellen, berührte er leicht ihre Wange und strich ihr mit den Fingern durch die seidigen Haarlocken. Sie zuckte kaum zusammen. Nur der zitternde Atem und der rasche Pulsschlag, den er mit den Fingerspitzen an der Seite ihres Halses ertastete, verrieten ihre Furcht. Sie blieb reglos stehen, und ihr Blick verschmolz mit dem seinen, als er sie langsam an sich zog.
Verlangen pochte in seinen Lenden, als ihre Körper sich berührten. Sobald er ihre weiblichen Rundungen an seinen Oberschenkeln und seinem Bauch spürte, regte sich seine Männlichkeit. Sie musste doch wissen, was ihre Nähe in ihm auslöste. Unschuldig oder nicht, sie war alt genug, um nicht nur zu ahnen, was er beabsichtigte. Sie war viel zu klug, um nicht nur zu verstehen, was sie ihm mit ihrem überhasteten Angebot in Aussicht gestellt hatte. Dennoch schrie sie nicht wie eine verängstigte Jungfrau auf und machte auch keinerlei Anstalten, sich ihm zu entziehen.
Er konnte nicht sagen, ob er über ihr Verhalten erfreut oder entsetzt sein sollte.
Offenbar würde sie alles dafür tun, um nach Frankreich zu kommen. Ihre Verzweiflung war sogar so groß, dass sie erwog, sich einem Fremden hinzugeben – einem bösartigen Schurken sogar, wie Braedon sich nicht ohne ein bitteres Lächeln ihrer Worte erinnerte.
Vermutlich wäre er sogar versucht gewesen, sich gleich hier in den Docks einen Vorgeschmack auf seinen Lohn zu holen, wären nicht weiter unten an den Kais Stimmen zu hören gewesen. Rasch hob er den Kopf, warf einen Blick über die Schulter und entdeckte durch die dünnen Nebelschwaden des Morgens eine kleine Gruppe Seeleute. Die rauen Gesellen beobachteten ihn und die junge Frau aus sicherer Entfernung. Es waren Ferrands Männer.
Einer von ihnen zeigte mit dem Finger in Braedons Richtung und rief seinen Freunden etwas zu. Die Männer befolgten seinen Befehl und rannten in Richtung von Braedons Anlegeplatz.
»Verflucht«, zischte Braedon und schob die angenehmen Gedanken an ein kleines Abenteuer mit der jungen Dame beiseite, um dem nahenden Unheil zu entgehen. »Wir müssen fort von hier, Mylady. Und zwar jetzt!«
Er packte sie beim Handgelenk und wollte sie auf sein Schiff heben. Zu seiner Überraschung widersetzte sie sich. »Wartet! Meine Pferde!«, rief sie und schüttelte den Kopf. »James’ Hengst und meine Stute stehen noch neben der Schenke. Ich kann sie nicht in London lassen. Ich werde doch ein Pferd brauchen, wenn ich in Frankreich bin.«
»Dafür ist es jetzt zu spät, Madame.«
Die Rufe der Seeleute wurden lauter. Schwere Schritte ließen die Planken des Kais erzittern. Etwas schwirrte über Braedons Kopf hinweg und bohrte sich mit einem dumpfen Laut in den Mast der Kogge.
Der Bolzen einer Armbrust! Einer von Ferrands Männern hielt inne, um nachzuladen, hob dann wieder die Waffe und schoss erneut. Ein zweiter Seemann stützte sich mit seiner Armbrust auf einem Fass ab, um besser zielen zu können.
»Runter!«, rief Braedon Ariana zu und legte schützend einen Arm um sie. In gebeugter Haltung eilte er mit ihr entlang der Kogge ein paar Schritte über das Dock, um sich in Sicherheit zu bringen. Ein weiteres Geschoss verfehlte sein Ziel nur um Haaresbreite und fiel in den eiskalten Fluss. Gebückt löste Braedon das letzte Tau, mit dem das Schiff noch mit der Anlegestelle verbunden war. »Wenn Ihr mitfahren wollt, Madame, so kommt jetzt!«
Mit einem Schrei lief Ariana zum Boot. Sie ließ sich von Braedon über die Bordwand helfen, der dann die Kogge vom Pier abstieß und das Segel nach dem auffrischenden Wind ausrichtete.
»Duckt Euch«, befahl er ihr und deutete auf das Vordeck. Die höher gelegene, rechteckige
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