Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
feststellte.
Die wachen braunen Augen in dem runzeligen und vom Alter gezeichneten Gesicht waren nur allzu jugendlich. So unerklärlich die Veränderung auch sein mochte, aber die wässrigen, trüben Augen, die Braedon vor kaum einer Stunde an dem Greis aufgefallen waren, erschienen nun jung und klar.
Ein kalter Luftzug erfasste den Raum, und als sich die unheimliche Stille wieder auf sie legte, versuchte Braedon sich bewusst zu machen, was sein Gespür ihm sagen wollte. Eigentlich konnte er nicht glauben, was er sah, aber andererseits war die Veränderung nicht zu leugnen.
So unauffällig wie möglich stellte er sich schützend vor Ariana und wandte sich dann Claude zu. Mit arglosem, freundlichem Blick schaute er dem Segelmacher fest in die seltsamen braunen Augen. »So etwas kann man schnell wieder sauber machen«, meinte er verbindlich. »Es ist doch zu Eurem Vorteil, dass Ihr ein so eifriges Tier besitzt.«
»Wie?« Das vertrauliche Lächeln schwand. »Sagtet Ihr eifriges Tier, Monsieur ?«
»Ja«, antwortete Braedon, um ihn weiter auf die Probe zu stellen. »Ihr habt mir doch heute Nachmittag erzählt, was für ein geschickter Jäger Eure Katze sei. Sie hat bestimmt eine Ratte gejagt, als sie die Kerze umstieß.«
»Oh ja! Oui, Monsieur, oui. Ihr habt ja so recht.«
Braedon hörte sich das falsche Kichern des Schwindlers nur einen Moment an, dann packte er den Mann an der Kehle und drückte ihn unsanft gegen die Wand.
»Braedon!«, rief Ariana hinter ihm. »Was macht Ihr da?«
»Oui, Monsieur«, röchelte der Alte mit einer Stimme, die nun nicht mehr betagt klang. »Was hat das zu bedeuten? Warum wollt Ihr einem wehrlosen Greis Leid zufügen?«
»Was habt Ihr mit ihm gemacht? Mit dem Segelmacher?«, fragte Braedon, doch die Veränderungen in dem Arbeitsraum ließen befürchten, dass der alte Claude längst tot war. »Hattet Ihr vor, auch uns umzubringen?«
Keuchend versuchte der Mann sich aus Braedons Griff zu befreien und zerrte an den Fingern, die ihm die Kehle zuschnürten. »Ihr … erwürgt … mich … , ich bitte Euch … lasst … los.«
»Braedon«, wisperte Ariana eindringlich. Sie war hinter ihn getreten und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Braedon, seid Ihr verrückt geworden? Seht Ihr denn nicht, wie Ihr ihm zusetzt?«
Er tat ihre Sorge mit einem Fluch ab. »Geht zurück, Ariana! Bei allem, was mir heilig ist, dies ist kein alter Mann. Er ist noch nicht mal ein Mensch. Nicht wahr?«, grollte er und drückte seine Hand um den dünnen, runzeligen Hals. »Antworte mir, verflucht!«
Der Schurke gab ein Glucksen von sich. Seine Stimme klang belustigt, und als die Laute in dem engen Raum widerhallten, wirkten sie mit einem Mal tief, kehlig und überhaupt nicht mehr menschlich. Braedon holte aus seinem Wams den Dolch mit der Drachenverzierung hervor. »Hast du das hier heute vielleicht verloren?«, fragte er und hielt dem vermeintlichen Greis die spitze Klinge vor die Nase. »Wird mir ein Vergnügen sein, es dir zurückzugeben.«
Die seltsamen braunen Augen funkelten vor Bosheit. »Wenn du mich tötest, le Chasseur, werden andere an meine Stelle treten.«
»Das sollen sie ruhig. Aber du wirst heute sterben.«
Er setzte die Klinge des Dolchs an der Brust des Mannes an, aber als er zustoßen wollte, schien die Luft um ihn herum mit einem Mal zu schillern und aufzuwallen. Eine seltsame Kraft floss durch Braedons Arm und vereinnahmte ihn. Das Gesicht vor ihm, das ihn nun mit hämischer Freude anstarrte, begann sich zu verformen, als würde es gleich in wabernden Nebelschwaden verschwinden. Die braunen Augen glitzerten wie Glasperlen, leblos und kalt.
»Braedon?« Ariana hatte es den Atem verschlagen. »Braedon! Was geht hier vor?«
Er war nicht in der Lage, ihr zu antworten, selbst wenn er das Geschehen in Worte hätte fassen können. Er war damit beschäftigt, sich gegen die aufbäumende Kraft zu wehren, die an ihm zerrte. Verzweifelt versuchte Braedon den Mann festzuhalten, der sich plötzlich seinem Griff entwand – wie eine Hand voller Rauch. Mit einem zornigen Aufschrei stieß Braedon mit dem Dolch zu.
Zu spät.
Hier waren unleugbar dunkle Mächte im Spiel, denn der Mann, den Braedon eben noch mit der Klinge ins Jenseits hatte befördern wollen, hatte sich in Luft aufgelöst. Ungläubig starrte Braedon auf seine leere Hand.
Augenblicke der Verblüffung und der Wut später lenkte ein Rascheln seine Aufmerksamkeit auf die Dielen. Als Braedon nach unten schaute, sah er eine
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