Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
den Spalt der Fensterläden hinunter in den Hof.
»Wenn Ihr glaubt, ich würde mich in Eurer Gegenwart ankleiden, so irrt Ihr Euch gewaltig!«
»Entweder Ihr zieht Euch an und kommt mit mir, oder Ihr bleibt hier und steckt ziemlich bald in Schwierigkeiten.«
»Wie meint Ihr das?«
Er schaute sie an und deutete mit dem Daumen Richtung Fenster. »Eben gerade sind zwei Männer in den Hof geritten – schwer bewaffnete Ritter, Mylady, beide zum Kampf gerüstet. Habt Ihr eine Ahnung, warum sie hergekommen sein könnten?«
»Ihr denkt, dass sie hinter mir her sind?«
»Hinter Euch und den Informationen in dieser Tasche.« Er blickte auf die Schriftstücke, die noch auf dem Boden verstreut lagen, und seine Züge verhärteten sich. »Vermutlich sind sie mittlerweile hinter uns beiden her, aber ich habe nicht vor hierzubleiben, um das herauszufinden.«
»Meint Ihr, die Ritter gehören zu den Leuten, die Kenrick in ihrer Gewalt haben?«
Er blieb ihr die Antwort schuldig, doch sie konnte an seinem grimmigen Blick ablesen, dass er genau das vermutete.
»Zieht Euch an«, mahnte er. »Ich packe derweil unsere Sachen.«
Tugenden wie Anstand und Sittsamkeit erschienen Ariana plötzlich zweitrangig, als sie den Ernst der Lage begriffen hatte und nur noch ans Überleben denken konnte. In einer Ecke der Kammer schlüpfte sie schnell in ihr Unterhemd und das Kleid, während Braedon Kenricks Schriften aufsammelte und wieder in die Tasche stopfte. Ariana zog ihre wollenen Beinkleider an, befestigte sie an den Strumpfhaltern und strich sich die Röcke glatt.
»Wo sollen wir hin?«, fragte sie ängstlich, als sie in die noch klammen Stiefel stieg. »Ihr habt doch selbst gesagt, das Wetter verhindere die Weiterfahrt nach Honfleur.«
»Wir müssen es riskieren. Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
Ariana legte sich den Mantel um die Schultern und hastete Richtung Tür, an der Braedon bereits ungeduldig wartete. Während sie sich angezogen hatte, war ihr entgangen, dass Braedon die Tasche an sich genommen hatte.
»Es wird sicherer für Euch sein, wenn ich sie trage«, sagte er, als sie ihn jetzt zur Rede stellen wollte. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, nahm Braedon sie bereits bei der Hand und führte sie in den Korridor. »Und jetzt nichts wie fort von hier. Es muss einen Hintereingang geben, den wir finden müssen. Los jetzt, uns bleibt nicht viel Zeit.«
Gemeinsam liefen sie den Gang hinunter und betraten die Küchenräume des Gasthauses. Der würzige Dampf der großen Kessel, die über dem Herdfeuer brodelten, hüllte sie ein. Abgezogene Hasen und kopflose und gerupfte Hühner hingen an eisernen Haken an der gegenüberliegenden Wand. Einer der Köche kam gerade aus dem angrenzenden Vorratsraum mit einer Schüssel Gemüse unter dem Arm zurück, als Braedon und Ariana die Küche durchquerten.
»Hinaus mit euch, sofort!«, schimpfte der beleibte Koch, dem die Schweißperlen auf der Stirn standen. »Die Küche ist euch verboten. Die Schankstube ist nebenan.«
»Gibt es hier einen Hinterausgang?«, erkundigte sich Braedon und deutete mit einem verschwörerischen Kopfnicken auf Ariana. »Ich fürchte, der Gemahl der Dame wird äußerst wütend sein, wenn er sie hier mit mir findet.«
Der Koch brummte, warf einen Blick auf Ariana und zuckte die fleischigen Schultern. »Hier entlang. Durch den Vorratsraum. Ihr kommt in der Gasse hinter der Schenke heraus.«
Mit einem Nicken führte Braedon Ariana in den düsteren und muffigen Raum, in dem Fässer mit Wein und Ale sowie Körbe mit Wintergemüse lagerten. Am anderen Ende der Kammer zeichnete sich der Umriss des Ausgangs ab. Vorsichtig drückte Braedon die Tür auf und spähte ins Freie.
Abgesehen von einem dürren Hund, der mit gesenktem Kopf und wachen Augen auf der Suche nach Essensresten jedweder Art durch den Schnee stapfte, war die Gasse leer. Das leise Knarren der Tür hatte das Tier bereits aufgeschreckt, und als Braedon und Ariana nach draußen traten, lief es mit einem Winseln davon.
»Beeilt Euch«, wies Braedon Ariana an. »Und bleibt dicht hinter mir.«
Sie heftete sich an seine Fersen, als er in eine Seitengasse bog, die von dem Gasthaus in einem Bogen hinunter zum Hafen führte. Sie mussten zu seinem Boot, konnten aber nicht ohne das reparierte Segel ablegen. Viel Zeit war seit Braedons letztem Besuch beim Segelmacher nicht vergangen, aber vielleicht hatte Claude den Riss trotzdem schon zum größten Teil geflickt. Oder Braedon könnte ihm ein anderes,
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