Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
zurückhaltenden Blick zu, mit dem sie anzudeuten schien, dass ihr sein Bemühen um Höflichkeit noch unangenehmer war als sein schroffes Misstrauen der vergangenen Tage.
»Seid Ihr mit den Speisen zufrieden?«
Angesichts dieser nicht enden wollenden Fragen blieb sie stehen, legte den Kopf leicht schief und sah Kenrick an. Kleine Falten zeichneten sich zwischen ihren Brauen ab. »Ja, ich bekomme mehr Speisen und Getränke, als ich verzehren kann.«
»Trefflich. Mir liegt viel an Eurer Gesundheit, Haven. Ich möchte, dass Ihr wisst, dass ich mich um Euer Wohlergehen kümmere.«
»Da Ihr etwas von mir braucht«, mutmaßte sie, und ein herausfordernder Ausdruck lag in ihrem Blick.
Darauf ging er nicht weiter ein, denn er sah keinen Sinn darin. Nicht, dass Haven eine Antwort erwartet hätte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und stand unmittelbar vor ihm auf dem sonnendurchfluteten Burghof. Und während sie sprach, verlieh ihr Unmut ihrer Stimme Nachdruck.
»Also gut, Mylord, lasst mich Euch versichern, dass es mir an nichts mangelt. Man gesteht mir regelmäßig ein Bad zu und gibt mir ausreichend zu essen. In meiner Kammer brennt immer ein Feuer auf dem Rost, und die Binsen auf dem Boden sind stets frisch ausgestreut. Lady Ariana hat mir dieses edle Gewand gegeben, dazu Schuhe aus weichem Ziegenleder … Ich möchte sagen, eine derartige Behandlung sollte jedem Gefangenen zuteilwerden.«
Kenricks Blick verdüsterte sich, als er merkte, dass einige Leute, die sich noch im Burghof aufhielten, verstohlen und neugierig zu ihnen herübersahen. Keiner der Untergebenen auf Clairmont Castle würde es wagen, so kühn zu sprechen, denn seit seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft begegneten die Burgbewohner Kenrick mit Vorsicht und manchmal, so schien es, auch mit ein wenig Furcht.
Allerdings war ihm dieser Zustand gerade recht, denn so konnte er die Tage und Nächte allein und zurückgezogen verbringen und weiterhin seinen geheimen Forschungen nachgehen, die sich allesamt nur um den Schatz drehten, der ihn ohne Unterlass beschäftigte.
Beinahe jeder in der Burg glaubte, Kenrick sei vom Teufel besessen, daher mieden die Leute ihn.
Es wäre ihm jetzt ein Leichtes gewesen, seinem Ruf als mürrischer Eigenbrötler gerecht zu werden, als er vor aller Augen so dastand und sich der feurigen Kühnheit einer Frau ausgesetzt sah, die sich in seiner Obhut befand. Deutlich spürte er die Blicke der Untertanen und konnte genau sehen, wie sie die Ohren spitzten, rechneten sie doch damit, dass ihr missmutiger Herr seinen unheiligen Zorn an der jungen Frau auslassen würde, die so töricht war, ihn mit spitzen Bemerkungen zu reizen.
Für einen kurzen Augenblick war er versucht, die Erwartungen der Burgbewohner zu erfüllen. Doch Zorn behielt bei ihm nie die Oberhand, und zu seiner Überraschung stellte er fest, dass Havens kühn gesprochene Worte ihn sogar beeindruckten.
Sollten die Bediensteten doch ruhig glauben, es liege an seiner unberechenbaren Art, dass er dieser Frau gestattete, ihn wegen einer angeblichen Verfehlung ins Gebet zu nehmen. Sie hatte keinen Grund, wütend auf ihn zu sein, und er wiederum hatte auch nicht das Bedürfnis, sie unnötig aufzustacheln.
Kenrick senkte die Stimme und hielt ihrem unverfroren anklagenden Blick mit Gelassenheit stand.
»Ihr seid keine Gefangene, Haven. Das habe ich schon vor einigen Tagen deutlich gemacht, als ich Euch den Schlüssel zu Eurem Gemach überließ. Und ich habe Euch nicht gezwungen, in Eurer Kammer auszuharren. Oder etwa doch?«
»Nein«, erwiderte sie. »Mein Käfig ist ein wenig größer geworden.«
Nun trat er dichter vor sie, bis der Schatten seiner großen Gestalt die Sonne aus ihren herausfordernd funkelnden Augen vertrieb. »Ihr fühlt Euch demnach immer noch als Gefangene?«
Sie blieb ihm die Antwort schuldig und sah ihn weiterhin unverwandt an.
»Mir ist bewusst, dass ich mich Euch gegenüber zunächst ein wenig schroff benommen habe, Haven. Aber Ihr müsst mir glauben, wenn ich Euch sage, dass dies nicht meine Absicht war.«
Für einen Moment schürzte sie die Lippen und setzte eine hochnäsige Miene auf. »Ich halte es für klüger, eher Taten als Worten Glauben zu schenken, Mylord.«
Kenrick lächelte, doch für einen Augenblick war er dennoch betroffen. »Das halte ich auch so«, pflichtete er ihr bei, und trotz des Gefühls, sich rechtfertigen zu müssen, verspürte er so etwas wie Heiterkeit.
Er ließ den Blick über ihr leuchtendes rötlich
Weitere Kostenlose Bücher