Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
wusste, was sie dachte. »Ich merke, dass du mich los sein willst. Und wie ich dir schon gestern Nacht sagte, ich werde bald gehen, Serena, sowie ich bereit bin. Aber da ist noch die Sache mit dem … Eigentum, das mir unten am Strand abhandenkam.«
Sofort rief sie sich seinen Zorn in der Nacht zuvor in Erinnerung, als Rand sie gepackt hatte und wissen wollte, was sie mit dem Gegenstand getan hatte, der sich nicht mehr in seinem Beutel befand. »Dieser Kelch?«, fragte sie und versuchte, die verwirrenden Eindrücke zu verdrängen, die seine versengende Berührung in ihr hervorgerufen hatte. »Ihr glaubt, Ihr hattet einen Kelch in Eurem Beutel, als Ihr an Land gespült wurdet?«
»Ich bin mir vollkommen sicher.« Er hielt sie mit seinem forschenden Blick gefangen, als suche er nach Anzeichen von Täuschung. »Deshalb habe ich noch in der Nacht und früh am Morgen den ganzen Küstenstreifen abgesucht, um zu sehen, ob die Gezeiten ihn womöglich wieder an Land getrieben haben.«
»Er muss sehr wertvoll sein, wenn er Euch so wichtig ist.«
»Er ist sogar äußerst wichtig. Du musst wissen, dass ich nicht ruhen werde, bis ich ihn wiederfinde.«
Eine Drohung lag in dieser leisen Äußerung, ein herausfordernder Ton, dem zurückgehaltener Zorn innewohnte. Alles an diesem Mann schien von Zorn beherrscht. Serena blickte zu Boden und merkte, dass sie ein wenig vor ihm zurückgewichen war, fürchtete sie doch insgeheim, er könne aus einem Wutanfall heraus handgreiflich werden.
»Ich weiß nichts über den Gegenstand, den Ihr verloren habt. Ich schwöre es.«
Seine Antwort war so gefährlich ruhig wie sein Blick. »Es wäre besser für dich.« Dann stand er auf und nahm den vollen Eimer. »Und jetzt zeig mir die andere Quelle in diesen Wäldern. Der Brunnen hier wird doch von einer größeren Quelle gespeist, nicht wahr?«
Serena starrte ihn an, machte aber keine Anstalten, ihn mit Ausflüchten zu täuschen. »Ja, es gibt einen Wasserfall, nicht weit von hier«, gab sie zu, allerdings nur widerstrebend. Denn der Sturzbach und der Teich mit dem kristallklaren Wasser waren so etwas wie eine heilige Zufluchtsstätte für Serena, an der Fremde nichts verloren hatten. So hatte Calandra es ihr seit Kindheitstagen eingeschärft. Serena hatte Rand den Wasserfall bewusst vorenthalten, aber sie hätte schon wissen müssen, dass sich dieser erfahrene Ritter nicht mit dem kleinen Brunnen zufriedengeben würde. Nicht lange mochte es dauern, und jeder Winkel dieses Waldes, den sie ihr Zuhause nannte, würde von ihm vereinnahmt werden.
»Welche Richtung?«, drängte er, als sie noch zögerte, ihm den Weg zu zeigen.
Serena deutete über seine Schulter. »Wir müssen da entlang. Zum Wasserfall führt kein Pfad. Wir müssen uns durch das Dickicht schlagen.«
Auf seine Geste hin ging sie schließlich voran, während sie sich der Nähe des Mannes auf unangenehme Weise bewusst blieb.
Den dicht bewachsenen Wald im Sommer zu durchqueren, wenn die üppigen Baumkronen nur spärliches Licht durchließen, erforderte Aufmerksamkeit, selbst von einer erfahrenen Waldbewohnerin wie Serena. Allzu sehr ließ sie sich von dem großen Mann ablenken, der nun neben ihr schritt. Zweimal wäre sie auf dem moosigen, vom Tau noch nassen Boden beinahe ausgerutscht, und jedes Mal schickte Rand sich an, sie aufzufangen. Sie achtete zwar genau darauf, sich nicht bei ihm abzustützen, aber als sie mit einem Fuß an einer Efeuranke hängen blieb, bot Rand ihr Halt und umschloss die Finger ihrer linken Hand.
Verärgerung, verriet ihr die Ahnung, die plötzlich erwachte und für diesen kurzen Augenblick Randwulfs Stimmung einfing.
Ungeduld … bereits zu viel Zeit hier vergeudet. Verflucht sei das Unwetter! Verflucht seien diese fremde Umgebung und die Verletzungen … zu weit von zu Hause entfernt. Zu weit von den Dingen, die von Bedeutung sind … kann nicht umkehren, solange es nicht vollbracht ist. Blut für Blut. Schmerz für Schmerz … es muss sein.
Wie eine heiße und zornige Woge durchfluteten seine Gedanken Serena. Es waren lautlose Worte, die jedoch wie ein schneidender Ruf in ihrem Kopf nachhallten. Von der dunklen Stimme der Ahnung erfasst, fühlte sich Serena für einen Augenblick unsicher auf den Beinen. Sie zwang sich selbst zur Ruhe und stemmte sich gegen die quälenden Gedanken dieses Mannes, die unterhalb seiner äußeren Gefasstheit brodelten.
»Hier entlang«, sagte sie und führte ihn durch das satte Grün des Unterholzes.
Bald wurde der
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