Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
Calandra.
»Das würde ich nicht tun. Glaubt mir, es würde böse für Euch enden.«
»Bitte, hört mich an!«, warf Serena ein, um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Ich weiß, dass dieser Kelch für Euch von hohem Wert war … «
»Was wisst ihr beide schon davon«, zischte er böse und unbedacht, denn er kochte vor Wut. Dumpf dröhnte sein Pulsschlag an seinen Schläfen. »Ich habe dich gewarnt – du hattest die Gelegenheit, mir alles zu sagen. Jetzt hast du sie verspielt.«
Unsanft stieß er sie beiseite und achtete nicht weiter auf ihren leisen Aufschrei, als er sie für einen Augenblick an den Schultern packte. Schon bei dieser kurzen Berührung sog Serena zischend die Luft ein. Zweifellos stellte sie sich schwächer, als sie war, um ihn dadurch zur Nachsicht zu bewegen. Aber in diesem Augenblick kannte Rand kein Mitgefühl. Er war davon überzeugt, dass ihn die Frauen täuschten. Schnell drängte er sich an ihr vorbei und stieß den Tisch um. Das kleine Messer und das Gemüse fielen zu Boden. Serena schwieg und beobachtete Rand aus wachen Augen, während ihre Mutter heftig atmete. Rasch ging Calandra Rand aus dem Weg, um näher bei ihrer Tochter sein zu können.
Das Gemüse wurde unter Rands Schritten zerdrückt, als er ziellos weiterging und dabei noch einen Schemel umstieß, der ihm im Weg stand.
Bei Gott, er würde die ganze Hütte auseinandernehmen, wenn er das bedeutende Gefäß dadurch wiederbekäme!
»Wo ist er?«, verlangte er in die ängstliche Stille hinein zu wissen. »Wo habt ihr ihn versteckt?«
Wo mochte er sein? Es gab viele Möglichkeiten, einen so kleinen Schatz wie diesen zu verbergen: Er könnte in einer der drei Wäschetruhen liegen; unter den alten Lagern oder in dem Kissen am anderen Ende des Raums; in der großen Vase nicht weit von der Tür, in der seit Kurzem frische Blumen standen.
»Ist er hier drin?«, fragte er und hielt auf die hölzerne Truhe zu, die ihm am nächsten stand.
Als keine der beiden Frauen antwortete, ging er in die Hocke und riss den gewölbten Deckel auf. Hastig suchte er zwischen den sauber gefalteten Stapeln schlicht gesponnener Bliauts und Schürzen und warf die Kleidungsstücke achtlos zu Boden. Keine Spur von dem Kelch, nur Wäsche. Fluchend stand er wieder auf und trat an die bescheidene Bettstatt, auf der Serena und ihre Mutter seit seiner Ankunft schliefen. Die Matratze war zerdrückt und uneben. Rand griff nach der Ecke des Strohlagers und hob die Matratze an: Zum Vorschein kam lediglich der festgestampfte Erdboden.
Staub und kleine Daunenfedern tanzten in der Luft. Mehr sah er nicht.
»Wir verbergen nichts vor Euch!«, versuchte ihn Serena zu überzeugen. »Ihr könnt unser Haus auf den Kopf stellen, Ihr würdet trotzdem nichts finden.«
»Das sagst du«, gab er scharf zurück.
Mit düsterer Miene ging er zur Tür und packte den Strauß Blumen in der irdenen Vase. Wasser tropfte von den langen Stängeln, doch auf dem Grund des Gefäßes war nichts zu finden.
Verflucht.
Allmählich war er mit seiner Geduld am Ende. Wütend fuhr er herum und war überrascht, dass Serena nur wenige Schritte von ihm entfernt stand.
»Bitte … Rand«, sagte sie, und auch diesmal ließ ihn der Klang seines eigenen Namens, den ihre Zunge formte, innehalten. Sie wagte einen weiteren Schritt in seine Richtung. Ihr Blick war offen, die Arme hatte sie allerdings vor der Brust verschränkt. »Wir haben nichts, was Euch gehört. Ihr müsst uns glauben.«
Ihre Worte waren zwar eindringlich, aber er war nicht von ihrer Aufrichtigkeit überzeugt. Ohne den Drachenkelch hatte er nichts, nur seinen Zorn. Sein Vorhaben, Vergeltung zu üben, rann ihm wie feiner Sand durch die Finger; sein düsterer Schwur, seine Frau und seinen Sohn zu rächen, verblasste, solange der Schatz für ihn unerreichbar war.
»Ich soll Euch also beim Wort nehmen?«
»Was für einen Beweis braucht Ihr denn noch? Ich habe Euch nichts als die Wahrheit gesagt.«
Rand wandte sich von ihren beunruhigenden blauen Augen ab und stieß einen Fluch aus. Sein Blick fiel auf ein Regal neben der Feuerstelle, auf dem einige Schalen und andere irdene Gefäße standen. »Ich werde euch erst glauben, wenn ich die ganze Hütte durchsucht habe. Bis dahin solltest du deine Lügen für dich behalten.«
»Meine Tochter lügt nicht!« So vorhersagbar wie der Wechsel der Gezeiten eilte Calandra ihrer Tochter zu Hilfe. Mit Bedacht ließ sie das kleine Schälmesser auf dem Boden liegen, fasste Rand scharf
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