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Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)

Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)

Titel: Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Adrian schreibt als Tina St. John
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um Gnade, wie Rand es in jener Nacht getan hatte.
    Abermals entfuhr ihm ein Fluch, und es brannte in seiner Kehle, da Serenas unheimliche Wahrnehmung die Erinnerungen an all die Schrecken wieder wachgerufen hatte.
    »Eine Gabe«, murmelte er und sah die seltsame Schönheit an, deren Gesichtsausdruck von einer dunklen Kraft durchdrungen zu sein schien. »Wenn das eine Gabe ist, dann muss Serena wahrlich in der Gunst eines dunklen Herrn stehen.«
    »Nein!«, rief ihre Mutter und riss die Hände in einer Geste der Abwehr hoch, als wolle sie die Anschuldigung zurückweisen. »Sagt das nie wieder, ich bitte Euch! Hier ist nichts Böses am Werk. So etwas zu sagen – insbesondere außerhalb dieses Waldes – würde für Serena den Tod bedeuten. Versteht Ihr? Meine Tochter ist keine Hexe. Das dürft Ihr nicht sagen!«
    Sie ging zu ihrer Tochter und war schon im Begriff, sie in die Arme zu schließen, doch Serena stieß sie von sich. Ungehalten streifte sie die Handschuhe ab, und in ihre Miene geriet ein kummervoller Ausdruck.
    »Das Blut … überall ist Blut.« Mit einem Aufschrei warf sie die Lederhandschuhe fort. Rand sah, dass ihre Hände wirklich nicht vernarbt oder entstellt waren, wie er irrtümlich angenommen hatte. Ihre blassen, reinen Innenflächen und schlanken Finger waren von makelloser Schönheit und so zierlich wie die einer Edeldame. Doch nun starrte sie auf ihre Hände, offensichtlich zutiefst entsetzt über das, was sie dort sehen musste.
    Rand begriff, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Er wusste, was sie sah. Beim Allmächtigen, es kam ihm so vor, als wäre alles erst gestern gewesen.
    »Ihr Blut klebt an meinen Händen!« Sie rieb die Handflächen aneinander, um die unsichtbaren Flecken loszuwerden, doch je heftiger sie rieb, desto hilfloser wurde sie in ihrem Schreck. »Gnade … ich kann nicht … die Blutflecken verschwinden nicht!«
    »Da seht Ihr, was Ihr angerichtet habt!«, fuhr ihre Mutter ihn an. »Serena, Kind, alles ist gut. Schhht … das geht wieder vorüber.«
    Aber Serena ließ sich nicht beruhigen. Mit wildem Augenausdruck und flachem Atem riss sie sich von ihrer Mutter los und eilte zur Tür. Schon war sie ins Freie gestürmt und im Wald verschwunden.
    Als ihre Mutter sich anschickte, ihr nachzulaufen, hielt Rand sie mit einem strengen Blick auf. »Ihr werdet hierbleiben, Frau. Das werde ich übernehmen.«
    Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab.
    Rand lief Serena nach. Er folgte dem Verlauf des schmalen, gewundenen Pfads zum Strand, immer das Zittern des Farnkrauts und der kleinen Zweige im Blick, die Serena in ihrer überhasteten Flucht soeben gestreift hatte. Schließlich fand er sie am Ende des Pfads, wo der Wald aufhörte und in den goldfarbenen Sand des Küstenstreifens überging. Serena war auf die Knie gesunken, wippte vor und zurück und hatte die Arme eng um den Leib geschlungen. Ihr langes dunkles Haar umgab sie wie ein Schleier aus schwarzer Seide, in dem sich das Sonnenlicht fing. Sie wirkte wie ein kleines Kind, zerbrechlich wie Glas.
    Diese Zartheit kannte er gut – oft hatte er Elspeths Zerbrechlichkeit gesehen.
    Rand kam langsam näher, sorgsam darauf bedacht, Serena nicht erneut zu erschrecken. Er wusste nicht, wo er mit seinen Fragen anfangen sollte. Was, um alles in der Welt, hatte dort in der Hütte von ihr Besitz ergriffen? Die Frage – nein, die Forderung – brannte ihm auf der Zunge. Nur mühsam hielt er sie zurück.
    »Serena. Sag mir, was hier vorgeht. Du kannst doch unmöglich in jener Nacht auf meiner Burg gewesen sein. Wie vermagst du dann aber so viel über meine Familie zu wissen?«
    Ihre Antwort war Schweigen.
    »Ich werde dir nichts tun, aber ich muss wissen, was vorhin mit dir geschehen ist. Kannst du mich hören?«
    Sie drehte den Kopf und sah ihn an, von jähem Schmerz ergriffen. Tränen standen ihr in den Augen, aber sie schien so mitgenommen zu sein, dass sie ihren Kummer nicht in Worte zu kleiden wusste. »Nein«, stöhnte sie schließlich. Ein leiser Klagelaut entrang sich ihrer Kehle, als sie sich mit den Händen auf dem Strand abstützte und sich dann langsam erhob. »Bitte … lasst mich allein.«
    Rand ließ sie nicht weit kommen und war mit wenigen Schritten bei ihr. Er berührte sie am Arm, doch sie entzog sich ihm, ehe er sie festhalten konnte.
    »Ganz ruhig«, beschwichtigte er sie. »Ich möchte nur mit dir sprechen.«
    Der Blick, den sie ihm zuwarf, wirkte immer noch entrückt; nach wie vor glitzerten Tränen in ihren Augen.

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