Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
auf die Burg und freundete sich rasch mit Elspeth an.«
Er stieß einen Seufzer aus und schaute zu Serena auf.
»Meiner Frau ging es oft nicht gut. Sie litt unter … Beschwerden. Die Ursache war nicht leicht zu erkennen, oftmals bedrückten sie Dinge, die sie bisweilen selbst nicht begriff. Diese Heilkundige aber, sie hieß Haven, kam oft zu Besuch und verabreichte Elspeth allerlei Tränke und Kräuter. Am Tag des Überfalls war ich nicht auf der Burg, da ich mich um Angelegenheiten in meinen Besitztümern kümmern musste. Haven hatte Elspeth einen Trunk aus Alraune und Poleiminze gegeben.«
Serena zog die Stirn kraus. »Diese Kräuter haben eine starke Wirkung. Nimmt man zu viel davon, kann man sterben.«
»Ja«, stimmte Rand ihr zu. »Als ich gegen Abend zurückkehrte, hatte Elspeth die Hälfte des Beutels genommen.«
»Himmel«, entfuhr es Serena. »Hatte diese Heilkundige sie denn nicht gewarnt, dass die Kräutermischung unter Umständen auch tödlich sein kann?«
Das Lachen, das Rand nun ausstieß, klang rau, denn die Bilder jenes Abends waren plötzlich wieder lebendig. »Elspeth wusste sehr wohl um die Gefahr, die dieser Kräutersud barg. Sie beschaffte sich die Mischung absichtlich und nahm auch wissentlich zu viel davon. Wäre ich nicht rechtzeitig zurückgekehrt, hätte sie womöglich sogar noch mehr davon getrunken.«
»Dann hast du sie gerettet«, sagte Serena, und Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit.
»Nein. Das war etwas, das ich nicht für sie tun konnte, vorher nicht und erst recht nicht an jenem Abend. Wir stritten uns, sagten uns unschöne Dinge. Dann kam es zu dem Überfall, und fortan waren alle Worte bedeutungslos.«
Serena schwieg eine Weils und sah ihn dann an, ohne seine Worte zu beurteilen oder Mitleid zu zeigen. Sie schien darauf zu warten, dass er ihr mehr erzählte. Und Rand war dazu bereit, wie er erstaunt feststellte. Er musste sich all die Dinge gleichsam von der Seele reden. Er musste es Serena erzählen, wusste er doch, dass sie die einzige Person war, der er vertrauen konnte. Sie kannte seinen tiefen Schmerz, würde ihn nicht töricht schelten und ihm auch nicht vorwerfen, als Ehemann versagt zu haben.
Serenas klarer Blick gab ihm Halt, wenn er in Selbstverachtung abzugleiten drohte. Dann wirkte das Blau ihrer Augen wie eine seichte Woge, die seinen geschundenen Leib umspülte und sein sterbendes Herz auffing.
»Meine Frau«, fuhr er fort, »konnte ihr Leben nicht länger ertragen. Ich vermochte sie nicht glücklich zu machen. Die Wahrheit war, so sagte sie es mir jedenfalls an jenem Abend, dass ich durch meine Liebe alles nur noch verschlimmerte. Elspeth erwartete wieder ein Kind – unser Kind, das erst seit wenigen Wochen in ihrem Leib heranwuchs. Und sie befürchtete, dass das Kind von ihrer Seele zehre.«
»Ist das möglich?«, fragte Serena mit bestürzter Miene. »Kann ein Kind … ?«
»Nein«, erwiderte Rand. »Das kann ein Kind nicht. Elspeths Schwermut war der Dämon, der ihre Seele auffraß … und auch an ihrem Geist nagte. Sie empfand tiefer als manch ein anderer, aber ihre Stimmung war unvorhersehbar; in einem Moment jauchzte sie vor Freude, im nächsten war sie zu Tode betrübt. Nie habe ich herausbekommen, was in ihr vorging. Sie hat mich niemals an sich herangelassen.«
»Dennoch hast du sie geliebt.«
»Ja«, gab er zu und hoffte, sein Geständnis möge Serena nicht verletzen, da sie sich inzwischen so nah gekommen waren.
Die Gefühle, die er Serena entgegenbrachte, waren etwas völlig anderes als die Bande, die zwischen ihm und seiner Frau bestanden hatten. Und obwohl er seine Empfindungen nicht in Worte zu fassen vermochte, spürte er doch, dass sie wahrhaftig und tief waren … und viel stärker, als sie sein sollten. Rand suchte ihren Blick und sah, dass sie ihn zärtlich beobachtete. Ruhe und Frieden gingen von dieser Frau aus. Sie bot ihm eine Zuflucht, die er sich niemals erträumt hätte. Wie eigenartig, dass ihm dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt widerfuhr, da ihn ein unheiliges Ansinnen beherrschte. Auf der Suche nach dem letzten Stück des Drachenkelchs würde er Serena unweigerlich verlassen müssen, und ebenso die Idylle, die er in ihrer Gegenwart genoss.
»Ich liebte sie«, sagte er, »aber Elspeth und ich, wir hatten uns nach der Geburt unseres Sohnes entfremdet. Vielleicht schon eher, aber das erkannte ich nicht. Immer schon war sie für Krankheiten und Kopfschmerzen anfällig gewesen, die von Jahr zu Jahr schlimmer wurden.
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