Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
zulassen, dass ihnen Leid widerfuhr. Kein Versprechen ist es wert, das Leben der Angehörigen aufs Spiel zu setzen.«
»Meine Frau stand bereits unter dem tödlichen Einfluss der Kräuter, die sie genommen hatte. Aber mein Sohn … « Er stieß zwischen den zusammengebissenen Zähnen einen Fluch hervor. »Mein kleiner Junge war unschuldig. Er weinte und schrie aus Leibeskräften, ich solle diese bösen Männer vertreiben.«
»Also hast du ihnen den Gegenstand ausgehändigt, den du für deinen Freund versteckt hattest.«
»Ja, das muss ich zu meiner Schande gestehen.« In jener Nacht hatte er sein Wort gebrochen und gegen die Ehre verstoßen, aber es hatte alles nichts genützt. »Ich habe sie zu dem Versteck geführt, gab ihnen, was sie suchten … und musste fassungslos mit ansehen, wie einer der Schurken einen Schuss abfeuerte, der Elspeth tötete. Leblos stürzte sie die steinernen Stufen hinunter – den kleinen Todd noch im Arm.«
»Gütiger Gott«, wisperte Serena zutiefst erschüttert. »Das arme Kind.«
»Er war sofort tot. Ich verlor den Verstand. In meinem Zorn erschlug ich einige der Gestaltwandler. Dann verwundete ich die Frau, die diese Bestien überhaupt erst nach Greycliff Castle gelockt hatte, als sie für den Schurken spionierte, der für all das Böse und die Zerstörung verantwortlich ist.«
»Die Heilerin – Haven?«, fragte Serena erschrocken, da sie den Namen in seinem Herzen las und spürte, dass sowohl Verwirrung als auch eine langsam nachlassende Verachtung mit ihm verbunden waren. »Sie war auch dort?«
»Ja. Sie war selbst eine Gestaltwandlerin. Ist es noch«, verbesserte sich Rand.
»Aber du hasst sie nicht.«
Er schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich wollte sie töten. In jener Nacht verletzte ich sie mit ihrem Dolch, als mir klar wurde, dass sie uns verraten hatte. Die ganze Zeit über hatte sie uns verraten, zumindest dachte ich das. Erst später, als ich ihr wiederbegegnete, kam ich zu einer anderen Auffassung.«
»Was war geschehen?«
»Es war unglaublich«, fuhr er fort und wunderte sich nach wie vor über die Tage nach dem Überfall, als sich die Ereignisse überschlagen hatten. »Du kannst dir gewiss vorstellen, wie entsetzt ich war, als ich gerade dieser Frau in der Burg meines Freundes Kenrick begegnete. Denn ich war fest davon überzeugt gewesen, sie mit dem Dolch getötet zu haben.«
Serenas Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Sie hatte also überlebt?«
»Dank Kenricks Hilfe. Er kam zufällig nach Greycliff, nicht ahnend, dass wir überfallen worden waren. Er fand Haven, als sie schwer verwundet und im Fieberwahn die Steilküste entlanglief. Ihm schien es unzweifelhaft, dass sie den Angriff miterlebt haben musste, und so hielt er sie für die einzige Überlebende. Da er in Erfahrung bringen musste, was mit dem Siegel geschehen war, das er in meine Obhut gegeben hatte, brachte Kenrick Haven auf seine Burg nach Clairmont, wo sie sich erholte und von nun an unter seinem Schutz stand.«
»Und Kenrick wusste nicht, wer sie war und was sie getan hatte?«
»Nein. Auch Haven selbst wusste es nicht. Das Wundfieber hatte ihr Gedächtnis in Mitleidenschaft gezogen.«
Serena schüttelte verwundert den Kopf. »Wo warst du, dass du deinen Freund nicht vor dem Feind warnen konntest, den er bei sich aufgenommen hatte?«
»Der Rauch auf Greycliff Castle hatte sich gelegt, als ich wieder zu mir kam. Ich ließ es so aussehen, als wäre auch ich bei dem Angriff umgekommen. Ich hob drei Gräber auf dem kleinen Friedhof aus und verließ dann die Burg meiner Väter. Natürlich ritt ich zu Kenrick, und so kam es, dass ich erfuhr, dass Haven unter seinem Dach lebte.« Rand gab ein Schnauben von sich, als er an die zurückliegenden Wochen dachte. »Ich habe Kenrick noch gewarnt, aber da war es schon zu spät.«
Furcht schlich sich in Serenas Züge. »Hat sie … ihn verletzt?«
»Ja und nein. Während sie sich erholte und keine Erinnerung an ihre Vergangenheit hatte, verliebten Haven und Kenrick sich ineinander.«
»Nein!«, rief Serena erschrocken aus.
»Doch«, sagte Rand und strich ihr über den Handrücken. »Ich konnte es selbst kaum glauben, aber so war es.«
»Und was hatte sie nun mit dem Überfall auf Greycliff Castle zu tun? Zählte das für deinen Freund nicht mehr?«
»Doch, das zählte sehr wohl für ihn, aber Haven schwor, die Angreifer nicht gerufen zu haben. Ursprünglich war sie angeblich gekommen, um die Burg im Auge zu
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