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Der Kelim der Prinzessin

Der Kelim der Prinzessin

Titel: Der Kelim der Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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teurem geschliffenem Kristall in einem geflochtenen Korb nebst einem Silberpokal herein, schob die Pergamente des Großen Plans beiseite und stellte sein Mitbringsel auf das Pult.
    »Dies sendet Euch Seine Eminenz, der Herr Groß-Prior, mit den besten Segenswünschen.« Der Alte schob sich näher heran und senkte seine Stimme. »Mein gütiger Herr ist der Meinung, Ihr, William von Roebruk, solltet dem Traktat, das Euch seine werte Schwester zu lesen hieß, nicht allzu viel Gewicht beimessen, sondern Euch bei einem guten Tropfen aus seinem eigenen Keller gelegentlich entspannen und den Kopf wieder freimachen von der schwer verdaulichen, höchst konspirativen Kost.« Der zierliche Kustos grinste dabei selbst recht verschwörerisch, während er mir aus dem kostbaren Gefäß den Pokal füllte.
    »Karl von Gisors ist also der Bruder der Grande Maitresse -?«
    »Der leibliche sogar — und der jüngere«, lautete die freimütige Bestätigung. »Das erklärt auch die unterschiedlichen Standpunkte, die von beiden Geschwistern eingenommen werden.« Ich wusste nicht sofort, wie ich mit dieser Erkenntnis umgehen sollte, vor allem, welche Konsequenzen sie für mich zeitigen könnte.
    Doch ich sollte es sogleich erfahren. »Der Groß-Prior regt an, dass Ihr hingegen nun Euer Ohr schärfen sollt - «
    Ich muss den Alten ziemlich verständnislos angeglotzt haben, denn er führte mich wie ein Kind zu der offenen Schranktür in der Wand. »Durch diese Öffnung werdet Ihr binnen kurzem jedes Wort vernehmen, das nebenan in der Bibliothek gesprochen wird - «
    Ich bemühte mich jetzt, rasche Auffassungsgabe zu zeigen. »Das Gespräch, das ich belauschen soll, findet vertraulich interfa-miliam statt?«
    »Ihr sollt nicht spionieren, William«, korrigierte mich mein Kustos, »sondern das Gehörte protokollieren, um es in Eure dürftige Chronik aufzunehmen.« Er wies lächelnd, aber bestimmt auf die vorbereiteten Pergamente hin.
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    »Ich soll also alles niederschreiben?« Ein letzter schwacher Versuch meinerseits, der neuerlichen Fron, jetzt sogar in verschärfter Form, zu entgehen.
    »Diesen Auftrag führt Ihr nun schon lange mit Euch herum, ohne dass Ihr ihm im Geringsten und im Wesentlichen bislang nachgekommen seid!« Der Alte war jetzt streng mit mir. »Diesmal ist Erfüllung angesagt!
    Ihr werdet sonst diesen Raum nicht wieder verlassen - «
    >Lebend< hatte er nicht hinzugesagt, aber es war mir klar, dass der Herr von Gisors keine Skrupel empfinden würde, wenn ich versagte, mich versagen sollte. Mein Kustos schob das Pult unmittelbar vor die offene Schranktür, stellte die Karaffe auf den Boden und breitete die leeren Pergamentseiten vor mir aus.
    »So könnt Ihr alles hören«, versicherte er mir fürsorglich, »und greift bitte nicht in die Öffnung hinein, das könnte Eure Tätigkeit - aber auch Euer Wohlbefinden - allzu rasch beenden!«
    Mit dieser Drohung ließ er mich allein im >Archiv< zurück. Ich griff erst mal zum gefüllten Pokal, der Wein war gut, für ein Henkersmahl geradezu exzellent. Während in der Eichentür die Verrieglung geräuschvoll wieder einschnappte, leerte ich genüsslich den Pokal - und lauschte. Es war nichts zu hören, außer dem sanften Säuseln des Luftzuges aus den Eingeweiden der Mauern, dem Wispern der unsichtbaren Nager und dem leisen Ruf eines fernen Käuzchens. So nahm ich mir meine Lektüre wieder vor.
    Ich lauschte in die dunkle Öffnung hinein - nichts, kein Laut. War die vorgesehene Unterredung zwischen den beiden Geschwistern doch nicht zustande gekommen, hatte sich die Grande Maitresse meine Zeugenschaft als Chronist verbeten? Schließlich wusste sie ja, wo ich mich aufhielt - und die Besonderheiten des
    Aufbewahrungsortes des Großen Plans mussten auch ihr geläufig sein!? Ich füllte den Pokal nach. Obgleich ich leichten Harndrang bändigen musste, trank ich einen kräftigen Schluck.
    Endlich vernahm ich Stimmen! Es waren die mir angekündigten, Marie de Saint-Clair, die Großmeisterin jener geheimen Bruderschaft - deren Namen ich nicht aussprechen, geschweige denn niederschreiben darf! -, und ihr offensichtlicher Gegenspieler im Templerorden, ihr leiblicher Bruder Karl von Gisors, der Groß-Prior, hatten endlich die Bibliothek betreten. Für dieses Ereignis hatte ich mir schon den Kopf zerbrochen, wie ich die beiden Namen in der gebotenen Eile abkürzen könnte, ohne despektierlich zu wirken, mich schließlich aber für Grande Maitresse für die hohe Frau und Groß-Prior für den

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