Der Keller
im tiefsten Wald. Sie atmete einmal tief durch und fuhr dann fort:
„ Francis erzählte mir am darauf folgenden Tag, dass Walter die ganze Nacht kein Auge zugemacht hatte. Er war die ganze Nacht an den Gitterstäben gestanden, hatte gekläfft und geknurrt wie ein Hund und es sich dabei abwechselnd mal mit der linken und der rechten Hand gemacht. Francis sagte, dass der Mistkerl es sich in dieser Nacht mindestens 50 Mal selbst gemacht haben musste und als sie ihn am nächsten Morgen wieder aus der Zelle holten, wollte keiner der Deputies ihn auch nur mit der Fingerspitze. Sie lotsten ihn zum Ausgang indem sie ihn mit ihren Schlagstöcken in die jeweilige Richtung durch die Korridore trieben, wie Vieh, das zum Schlachthaus geführt wird. Als sie die Polizeistation verlassen hatten, übergaben sie ihn der Obhut seines Vaters.
Francis hat mir erzählt, der alte Joseph Roberts habe an diesem Morgen ausgesehen, wie ein alter Gaul, der an einer Kolik litt und dem man am liebsten einen Gnadenschuss verpasst hätte, um ihn von seinem Leid zu erlösen. Er hätte die ganze Zeit über nur mit zusammengesunkenen Schultern dagestanden, zu Boden gestarrt und kein Wort gesagt. Seine Augen seien blutrot und unterlaufen gewesen und die Scham hätte sich in seinem Blick gespiegelt, wie vorbeiziehende Wolken auf dem Grund eines tiefen Brunnens. Francis und Duke Robbins hatten versucht ihm es so leicht wie nur möglich zu machen und hatten daher kein Wort darüber verloren, was in dieser Nacht in der Zelle im Keller der Polizeistation passiert war. Stattdessen haben sie Walter einfach nur bis zu Roberts Wagen begleitet, ihn seinem Vater übergeben und dann sind sie so schnell wie möglich wieder zurück in die Polizeistation verschwunden, so als könnte das Pech des alten Mannes auf einen von ihnen überspringen, wenn man sich lange genug bei ihm aufhielt, wie eine ansteckende Krankheit.
Walter wurde von diesem Tag an nicht mehr in der Stadt gesehen und auch Joseph Roberts suchte die Stadt fortan nur noch auf, um dringende Besorgungen zu machen. Die Menschen aus der Stadt breiteten ein weiters Mal das Tuch des Schweigens über die Vorfälle aus und bald waren es die Wirren des Zweiten Weltkrieges, die die Geschehnisse rund um die ermordeten Kinder und rund um Walter in der Erinnerung der Bürger von Rockwell verblassen ließen. Das Haus am Chestnut Peak ging ebenfalls in diesem Vergessen unter, wie ein rostiger Kahn auf hoher See. Joseph Roberts wurde zu einem Eigenbrötler, der immer mehr dem Leichnam zu ähneln begann, der er eines Tages sein würde. Naja, zumindest vom Hals abwärts – aber daraufhin komme ich noch zu sprechen, keine Sorge. Jedenfalls hatte Roberts sämtliche Kontakte aus der Stadt abgebrochen und sich in sein Haus zurückgezogen. Er empfing keine Gäste, ging nicht mehr aus und ließ seine Geschäfte von anderen besorgen. Manchmal sah man ihn in der Post oder beim Schneider. Kaum einer suchte noch den Kontakt zu dem Mann, dem Rockwell einst mit Haut und Haaren gehört hatte und die meisten Menschen machten einen Bogen um ihn, wie um einen Misthaufen im Hochsommer.
Der einzige Mann aus der Stadt, den Roberts Jahr für Jahr dennoch empfangen musste, war Jim Davis, der zur damaligen Zeit für die Central Maine Power gearbeitet und die Stromzähler in Rockwell und Umgebung abgelesen hatte. Jim, der selbst manchmal gern einen über den Durst trank und daher hin und wieder auch eine Nacht in der Zelle der Polizeistation verbrachte, konnte im Laufe der Jahre einige sehr merkwürdige Geschichten über das Haus oben am Chestnut Peak berichten. Er hatte immer gesagt, dass er ansonsten kein schreckhafter Mann sei (seine größte Angst war es damals, dass in Maine die Prohibition wieder eingeführt wurde), aber dass es ihm jedes gottverdammte Mal aufs Neue die Haare zu Berge stehen ließ, wenn er in den Keller von Roberts Haus hinabsteigen musste, um den Stromzähler abzulesen. Er hatte gesagt, dass dort unten etwas so falsch war, wie es nur sein konnte. Wenn man dort unten am Stromkasten stand und die Ziffern von den Zahnrädern ablas, dann fühlte es sich so an, als würde man mitten in der Sonntagsmesse laut fluchen und dabei vor der ganzen Gemeinde den Namen des Herrn in den Dreck ziehen. Er hatte viele verschiedene Vergleiche gehabt, um seine Angst zu beschreiben, aber es ist nur dieser eine, der sich in meinem Gedächtnis verfangen hat, Mr. Bonfield.
Außerdem hatte Jim Davis davon berichtet, dass dort oben komische
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