Der Keller
wohl wieder einen lichten Augenblick gehabt haben – ich stelle mir das meist so vor, wie einen kurzen Blitz, der den Nachthimmel erhellt. Jedenfalls ist er an diesem Tag ein weiteres Mal in die Scheune gegangen, hat sich den großen Benzinkanister geschnappt und hat anschließend damit angefangen seinen Wänden einen neuen Anstrich zu verpassen. Er war von Raum zu Raum gegangen, hatte mit dem Inhalt des Kanisters die Wände und die Möbel begossen, bis er anschließend an der Kellertreppe angelangt war. Dann hatte er ein Streichholz angemacht, um des in den Raum geworfen und noch während die Flammen von einem Zimmer zum nächsten gezüngelt waren, war er die Treppe hinab gestiegen und hatte sich auf eine alte Holzkiste gesetzt. Anschließend hatte er seinen Revolver genommen, ihn sich in den Hals geschoben und abgedrückt. Doch er wollte nicht nur sich selbst töten, sondern auch mit dem Feuer dafür sorgen, dass auch dieses Wesen starb, das irgendwann einmal sein Sohn gewesen war und in den letzten Jahren hinter dieser Wand gelebt hatte.
Doch dafür war das Haus am Chestnut Peak zu hoch auf einem gottverdammten Hügel gebaut. Noch ehe es den Flammen gelungen war, auf den Dachstuhl überzuspringen, hatte jemand aus der Stadt bemerkt, dass das Haus brannte. Die Feuerwehr war sofort ausgerückt und hatte das Haus gerettet oder zumindest den Großteil davon. Wenig später hatte man Joseph Randolph Roberts im Keller gefunden, sein Körper lag zusammengesunken auf der alten Holzkiste und der größte Teil seines Kopfes lag in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes, gleich hinter dem Treppenabsatz – so hat es mir mein Ehemann Francis erzählt. Von Walter hatten die Polizisten jedoch keine Spur gefunden. Man nahm an, dass das Feuer ihn derart erschreckt haben musste, dass er in den Wald geflüchtet war. Man schickte eine Woche lang Suchtrupps, um ihn zu finden. Aber glauben Sie mir, die haben Walter mit dem gleichen Eifer gesucht, wie jemand, der nach Fehlern in einer in einer unerwartet hohen Steuerrückerstattung sucht. Es war allen nur Recht, dass Walter weg war. Uns ALLEN war es Recht, Mr. Bonfield.“
19.
Nachdem Doris geschlossen hatte, entspannte sich ihr zerbrechlicher alter Körper und sank etwas tiefer in den Sessel zurück, in dem sie saß. Ihre Augen machten auf Roger einen müden Eindruck und er dachte, dass die Erinnerung an all diese Vorkommnisse sie sehr aufgewühlt haben musste.
Erinnerung? War es tatsächlich das, was er glaubte. Dass es sich bei der Geschichte, um Erinnerungen der alten Frau handelte? Doris Pearson machte nicht gerade einen senilen Eindruck auf ihn, aber dennoch wusste er, dass es viele Grade der Verrücktheit gab und das man als Laie gut und gern auf den einen oder anderen hereinfiel. Diese logische Schlussfolgerung war es, die dafür sorgte, dass sich sein Herzschlag wieder etwas beruhigte und dass die Farbe in sein Gesicht zurückkehrte. Dennoch ahnte er, dass in dieser Geschichte ein Funken Wahrheit steckte, wenn auch die alte Frau alles ein bisschen durcheinander gebracht zu haben schien. In diesem Moment tat ihm die alte Frau, die ihm gegenüber am Tisch saß, ein bisschen Leid.
Im Raum um ihn herum war es inzwischen merklich dunkler geworden und als Roger einen Blick auf die Uhr warf merkte er, dass er inzwischen bereits kurz vor fünf Uhr nachmittags war. Er hatte den ganzen Tag damit zugebracht der Geschichte von Doris Pearson zu lauschen und hatte darüber anscheinend ganz die Zeit vergessen.
„ Ich muss jetzt gehen, Mrs. Pearson. Es war schön Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er. Seine Worte schnitten tiefe Wunden in die Stille des Raumes. Die alte Frau zeigte keinerlei Regung, sondern sah ihn einfach weiter durchdringend mit ihren blauen Augen an.
„ Was werden Sie jetzt tun, Mr. Bonfield?“
„ Ich muss noch schnell in die Kanzlei die heutigen Termine verschieben und dann…“
„ Nein, das habe ich nicht gemeint“, sagte Doris und presste kurz die Lippen aufeinander. Tiefe Falten schürzten ihren Mund, bis dieser für einen Augenblick so aussah, als sei er mit dickem Garn zugenäht.
„ Was werden Sie wegen des Kellers tun und wegen … wegen…“
Ihre Stimme stockte, wie ein alter Motor auf einer steilen Bergstraße.
„ Ich meinte: Was werden Sie wegen Walter unternehmen?“
„ Wegen Walter?“
„ Haben Sie mir nicht zugehört während ich gesprochen habe, mein Sohn? Dieses Ding ist in Ihrem Keller, verdammt und nach Jahrzehnten ist es
Weitere Kostenlose Bücher