Der Ketzerlehrling
Fortunata und Elave zusammengefahren, noch bevor Aldwin sein Gesicht an der Tür zeigte und mit einer Entschlossenheit und Angriffslust eintrat, die ihm sonst fremd waren, und die an den Tag zu legen ihn vermutlich einige Mühe kostete. Die Züge seines langen Gesichts verrieten eifrige Unbeirrbarkeit; ein Mann, der von Natur aus resigniert und schüchtern war, schien entschlossen, ein Unternehmen durchzustehen, das Mut verlangte. Er bezog nur eine Armeslänge von Elave entfernt Stellung und reagierte auf den bestürzten Blick des jungen Mannes mit einem aggressiven Vorschieben des Kinns; doch auf seiner Stirnglatze standen Schweißtropfen. Er spreizte die Beine, um auf den Steinen des Fußbodens festen Halt zu finden, und erwiderte ungerührt Elaves Blick. Elave hatte bereits begonnen zu verstehen – im Gegensatz zu Fortunata, ihrem bestürzten Gesicht nach zu urteilen. Sie trat ein oder zwei Schritte zurück und ließ einen forschenden Blick vom Gesicht des einen Mannes zu dem des anderen wandern.
»Dieser Mann«, sagte der Abt ruhig, »hat gegen Euch, Elave, Anklage erhoben. Er sagt, Ihr hättet gestern abend im Hause seines Herrn zu Fragen der Religion Ansichten geäußert, die den Lehren der Kirche zuwiderlaufen und Euch in den Verdacht der Ketzerei bringen. Er benennt diese Leute als Zeugen für das, wessen er Euch beschuldigt. Wie ist es, gab es tatsächlich eine derartige Unterhaltung zwischen euch? Ihr wart anwesend und habt gesprochen, und sie waren anwesend und haben zugehört?«
»Vater«, sagte Elave, der sehr bleich und sehr ruhig geworden war, »ich befand mich dort im Hause. Ich habe mich mit ihnen unterhalten. Das Gespräch betraf Glaubensfragen.
Schließlich hatten wir gerade einen guten Herrn begraben, da war es nur natürlich, daß wir seiner Seele gedachten und unserer eigenen.«
»Und seid ihr selbst ehrlich und aufrichtig überzeugt, daß Ihr nichts gesagt habt, das unvereinbar ist mit dem wahren Glauben?« fragte Radulfus sanft.
»Soweit ich es weiß und verstehe, Vater, habe ich das niemals getan.«
»Ihr, Aldwin«, befahl Chorherr Gerbert und lehnte sich auf seinem Sitz vor, »wiederholt jetzt diese Dinge, über die Ihr Euch bei Bruder Jerome beklagt habt. Laßt uns alles hören, gebt die Worte so wieder, wie Ihr sie gehört habt, soweit Ihr Euch ihrer erinnern könnt. Ändert nichts ab!«
»Hohe Herren, wir saßen zusammen, wir sprachen über William, den wir gerade begraben hatten, und Conan fragte, ob er Elave auf denselben Weg geführt hätte, der ihn vor vielen Jahren in Schwierigkeiten mit dem Priester gebracht hat. Und Elave sagte, William hätte aus seinem Denken nie ein Geheimnis gemacht, und auf seinen Reisen hätte ihm nie jemand einen Vorwurf daraus gemacht, daß er über solche Dinge nachdachte. Wozu hat man einen Verstand, hat er gesagt, wenn nicht, um ihn zu benutzen. Und wir haben gesagt, das wäre Anmaßung bei einfachen Leuten wie uns; unsere Sache wäre es, zuzuhören und Amen zu sagen zu dem, was die Kirche uns sagt, denn in diesem Bereich haben die Priester Macht über uns.«
»Eine sehr vernünftige Ansicht«, erklärte Gerbert rundheraus.
»Und was hat er darauf erwidert?«
»Herr, er sagte, wie könne man Amen sagen zur Verdammung eines ungetauften Kindes zur Hölle? Nicht einmal die schlechtesten Männer brächten es fertig, ein Kind ins Feuer zu werfen, wie könnte dann Gott, der die Güte selbst ist, es tun? Das wäre wider seine Natur, sagte er.«
»Das läuft darauf hinaus«, sagte Gerbert, »daß die Kindstaufe unnötig und sinnlos ist. Einen anderen logischen Schluß kann man aus dieser Argumentation nicht ziehen. Wer behauptet, daß sie nicht der Erlösung durch die Taufe bedürfen, um der unausweichlichen Verdammnis zu entgehen, der macht das Sakrament verächtlich.«
»Habt Ihr die Worte gesprochen, die Aldwin hier wiederholt hat?« fragte Radulfus gelassen nach einem Blick in Elaves erregtes und entrüstetes Gesicht.
»Das habe ich getan, Vater. Ich glaube nicht, daß unschuldige Kinder, nur weil die Taufe sie nicht mehr rechtzeitig vor ihrem Tod erreicht hat, aus Gottes Hand fallen können. So unsicher kann sein Griff nicht sein.«
»Ihr beharrt auf einem tödlichen Irrtum«, erklärte Gerbert.
»Es ist, wie ich gesagt habe. Eine derartige Überzeugung verwirft und entwürdigt das Sakrament der Taufe, die einzige Erlösung von der Erbsünde. Und wer ein Sakrament verhöhnt, der bestreitet alle Sakramente. Das allein genügt zu Anklage und
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