Der Ketzerlehrling
Werkzeuge, jede Ecke des ordentlichen, bescheiden möblierten Raumes. Alles lag offen sichtbar da. Sie hatte kaum damit gerechnet, hier etwas zu finden, was nicht hergehörte, und vergeudete nicht viel Zeit mit der Suche. Sie schloß die Tür des schattigen Raums hinter sich, kehrte in die leere Diele zurück und stieg, den Eingang von der Straße aus benutzend, in Jevans Schlafkammer hinauf.
Vielleicht hatte er vergessen, daß sie seit ihrer Kindheit wußte, wo sich alles im Hause befand, oder nicht daran gedacht, daß selbst Einzelheiten, die sie früher nie interessiert hatten, jetzt für sie von größter Bedeutung sein konnten. Bisher hatte sie ihm noch keine Veranlassung gegeben, über diese Dinge nachzudenken, und in diesem Augenblick betete sie innerlich, daß sie ihm eine solche Veranlassung nie zu geben brauchte. Was immer sie jetzt tat, sie würde Schuldbewußtsein empfinden; aber das konnte sie ertragen, weil sie es mußte.
Was sie nicht ertragen konnte, war die quälende Ungewißheit.
Nie zuvor, hatte Jevan gesagt, hatte er sich die Mühe gemacht, seine Handschriften einzuschließen, nie, bis er ihre kostbare Mitgiftschatulle dazugepackt hatte. Und das hätte durchaus eine belanglose, liebenswürdige Geste der Freude und des Dankes gewesen sein können, die ihr schmeicheln sollte, hätte er nicht tatsächlich die Truhe mit ihrem Geschenk abgeschlossen, als er am Abend in seinem Zimmer allein gewesen war. Sie wußte es, noch bevor sie die Hand an den Deckel legte, um ihn anzuheben. Die Truhe war verschlossen.
Wenn er seine Schlüssel mitgenommen hatte, als er das Haus verließ, dann konnte sie auf diesem beängstigenden Weg nicht weitergehen. Aber das hatte er nicht für erforderlich gehalten: sie hingen an ihrem üblichen Platz, an einem Haken in dem Schrank, in dem er seine Kleidung aufbewahrte, in einer Ecke der Kammer. Ihre Hand zitterte, als sie den kleinsten ausprobierte, und Metall knirschte scharf auf Metall, bevor es ihr gelang, ihn in das Schloß der Büchertruhe zu stecken.
Sie hob den Deckel und kniete bewegungslos neben der Truhe, umklammerte mit beiden Händen den geschnitzten Rand so fest, daß ihre Finger vor Anspannung schmerzten. Es wäre nur ein einziger Blick erforderlich gewesen und nicht dieses lange, bestürzte Starren in das Innere der Truhe, auf die dicht an dicht stehenden Buchrücken, den leeren Platz an einem Ende. Es war keine dunkle Schatulle darin, kein großäugiger, rundgesichtiger Heiliger, der ihren Blick erwiderte.
Mit dem weißesten der hellen Einbände, Seite an Seite mit dem rotgefärbten Band, stand Jevans kostbares französisches Brevier, vor ein paar Jahren auf dem Jahrmarkt von Saint Peter von einem vorsichtigen Dieb oder Händler mit gestohlenem Gut erworben, auf seinem gewohnten Platz zwischen den anderen, seines neuen, prächtigen Behältnisses beraubt.
Das Buch war geblieben, die Schatulle, in die es so exakt hineinpaßte, war fort, und Fortunata konnte sich dafür nur einen Grund vorstellen und nur einen Ort, an den sie gebracht worden war.
In einem plötzlichen Anfall von Hast und Panik klappte sie den Deckel zu und drehte den Schlüssel im Schloß. Dabei verfing sich eine Strähne ihres Haars im Gitterwerk des Schließblechs; sie zerrte sie heraus, als sie aufstand, getrieben von dem Verlangen, diesen Raum so schnell wie möglich zu verlassen und anderswo Zuflucht zu suchen – unter normalen Ereignissen und unschuldigen Menschen, fort von dem Wissen, von dem sie jetzt wünschte, daß sie es nicht besäße, das sie aber nicht wieder loswerden konnte; fort von dem Weg, den sie betreten hatte in der Hoffnung, daß er unter ihren Füßen verschwinden würde, und dem sie nun bis zu seinem Ende folgen mußte.
Aldwin wurde am späten Vormittag zu Grabe getragen, begleitet von Girard von Lythwood und seinem gesamten Haushalt und feierlich in die nächste Welt geleitet von Vater Elias, der jetzt vom Wohlverhalten seines Pfarrkindes überzeugt und von seinen früheren Zweifeln befreit war.
Fortunata stand neben Jevan am Grabe, und als sein Ärmel den ihren berührte, spürte sie, wie Mitleid und Entsetzen ihr Denken zerrissen. Sie hatte beobachtet, wie er als einer der Sargträger fungiert und eine Handvoll Erde auf den Sarg geworfen hatte und nun mit ernstem und gefaßtem Gesicht in die dunkle Grube hinabblickte, während die Schollen hinabfielen und den Toten bedeckten. Es mochte zwar den Anschein haben, als wäre ein in Enttäuschung und Pessimismus
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