Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
mehr so ausgelassen gew e sen. Eine Welle der Freude und Hoffnung hatte alle Angeh ö rigen des Stammes mitgerissen, als die Botschaft verkündet wo r den war. Nach den Jahren quäle n der Ungewissheit und den Zweifeln an der Vitalität ihres Königshauses gab es nun endlich wieder Grund zur Hoffnung. Ein Sohn war geboren wo r den, die Folge der Generationen war gesichert. Der Segen Odins ruhte weiterhin auf seinen Kriegern. Alle waren sicher, dass der zweite Sohn nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, dann wären die Jahre des Bangens vorbei. Bald, so versicherte man sich auch gegenseitig, bald würde man hinter den Alpen Land finden, so fruchtbar und so weit, dass es sie alle für immer ernähren würde. Nur noch einige Monate, ja vielleicht auch nur einige Wochen der Fahrt trennten sie von diesen Gefilden. Denn bereits die Hälfte des A n stiegs auf den Pass hatten sie hinter sich gebracht, als einsetzender Schneefall die Kimbern und ihre Ve r bündeten überraschte und den Zug zum Stehen brac h te. Es war noch zeitig im Frühjahr, und der Schnee fiel in dichten Flocken, die innerhalb von zwei Tagen eine dichte weiße Decke bildeten. Dieser Umstand kam der allgeme i nen frohen Stimmung sehr entgegen. Nach all der Zeit im milden Gallien erschien den Menschen aus dem Norden die Kälte der A l pen wie ein Gruß aus der längst verlassenen Heimat. Ausgelassen wie Jugendliche warfen sich die ausgewachsenen Kri e ger gegenseitig in den Schnee, sie kletterten die Hänge hinauf, und i r gendein Übermütiger kam auf die Idee, sich auf seinen Schild zu setzen und ihn so als Schlitten zu verwenden. Das Gelächter war al l gemein, jeder musste selbst einen Versuch w a gen, die Männer überschlugen sich in dem Bestreben, die Geschwindigkeit zu steigern. Jeder Sturz wurde wieder ausgiebig belacht, die Kinder und sogar die Frauen mit den verhärmten Gesichtern stiegen von den Wagen, um dem Treiben zuzusehen und die Schnellsten und G e schicktesten anzufeuern. Als die Dämmerung hereinbrach, wollte niemand sich zur R u he l e gen. Große Feuer wurden entfacht, an d e nen sich die Männer wärmten, und die Frauen rüc k ten mehr von ihren Vorräten heraus, als es e i gentlich vernünftig und in Anbetracht des weit e ren Weges vertretbar war. Ein richtiges kleines Fest mit Geschichten und Gesang entwickelte sich und zog sich bis spät in die Nacht hi n ein.
Agnar wanderte ruhelos durch die ruhigeren Gebi e te des Lagers. Ab und an wehte der Wind Fetzen von Liedern und Angebereien zu ihm und weckten Erinn e rungen, die er nur zu gerne für immer b e graben hätte. Erinnerungen an eine Nacht vor vi e len Jahren, in der ebenfalls g e feiert und gesungen worden war und in der er selbst ebenfalls am Rande geblieben war. So wie er es seither immer gehalten hatte. Wid hatte es nicht g e schafft, seine spirituellen Kräfte dauerhaft zu beschäd i gen, aber er hatte e t was ebenso Wertvolles in ihm ve r nichtet. Er hatte den Wunsch nach menschlicher G e sellschaft und Wärme zerstört wie auch die Fähigkeit, sie zu g e nießen oder auch nur zu ertragen. Agnars he r vo r gehobene Position hatte es ihm leicht gemacht, se i nen Widerwillen vor menschlicher Nähe zu k a schieren, denn man akzeptierte se i ne Distanz als das Zeichen seiner Würde und seiner Überlege n heit. Als sein Vater begonnen hatte, ihm aus Grü n den des dynastischen Fortbestandes regelmäßig Mädchen zuzuführen, hatte er anfangs unter dem Zwang gelitten, die jungen Fra u en die ganze Nacht neben sich in seinem Bett zu ertr a gen. Er hatte sie einmal beschlafen, und da er sonst nichts mit ihnen anz u fangen wusste, hatte er das Ganze meistens noch einmal wiederholt. Dann hatte er sich in seiner Unruhe an den Rand des Bettes gesetzt und b e cherweise Wein oder Bier in sich hinein gekippt, bis ihm die Situation entglitten war und er in tiefe B e tä u bung versank. Das war natürlich auf Dauer kein Z u stand, und deshalb fasste er sich eines Nachts ein Herz und schickte das Mädchen unter dem Vo r wand aus dem Wagen, er müsse meditieren. Er wich ihrem ve r letzten Blick aus. Als er endlich wi e der alleine war, konnte er zum ersten Mal nach vi e len Nächten wieder durchatmen. Er wunderte sich selbst am allermeisten, dass diese ganze wenig freudvolle Angelegenheit nun wirklich zum Erfolg geführt und den lang ersehnten Thronfolger he r vorgebracht hatte. Er sollte seinen Sohn nach alter Tradition erst zu Gesicht bekommen, wenn der Kleine drei Winter
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