Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
überstanden hätte. Dann würde er ihm seinen Namen geben und ein Geschenk, zum Zeichen, dass er den Jungen als seinen rechtmäß i gen Sohn akzeptierte.
Es war spät geworden, doch noch immer klangen die Geräusche des Festes zu ihm herüber. Solange der Lärm noch nicht verklungen war, würde er ke i ne Ruhe finden. Daher suchte er eine Ablenkung, um sich die Zeit bis dahin zu verkürzen. Da seine Gedanken nun schon ei n mal bei seinem Sohn ang e langt waren, verfiel er auf die Idee, vorab und quasi hinter dem R ü cken der ehrwürdigen Traditionen einen Blick auf seinen Nac h kommen zu werfen. Die Mutter des Kleinen, die u n mittelbar nach der Ni e derkunft zur offiziellen Gattin gekrönt worden war, hatte sich sehr schnell an die B e quemlichkeiten im königlichen Haushalt gewöhnt und die Pfl e ge des Kindes einer Amme übertragen, um sich etwas zu schonen. Agnar kannte den Wagen, in dem das Kind mit seiner Betreuerin wohnte, und so ging er scheinbar zufällig und in tiefes Nachdenken versunken in diese Richtung.
Vorsichtig schlug er die Plane zurück und spähte ins Innere. In einer Ecke des Wagens bran n te ein Talglicht in einer Tonschale. A ls sich seine Augen an die schw a che Beleuchtung gewöhnt hatten, e r kan n te er die Ge s talt der Wärterin in einer anderen Ecke zusammeng e rollt auf einigen Fellen. In der Mitte des Wagens stand die große Wiege, in der sein Sohn lag. Vorsic h tig trat er näher, wobei es ihm tatsächlich gelang, jedes Geräusch zu verme i den. Er beugte sich über das Bett und stellte ve r blüfft fest, dass das Kind mit offenen Augen dalag, sichtlich erfreut über die Abwechslung, die sich ihm hier bot. Es ließ ein leises gurgelndes Geräusch h ö ren und grabschte nach den langen Haarsträhnen, die von Agnars Schultern gerutscht w a ren. Agnar versuchte in den unreifen Zügen eine Ähnlichkeit zu erke n nen, doch die Augen des Kindes waren so blau wie es die Augen aller Kinder sind, seine Haut so rosig und sein Haar so hell wie bei allen Kindern, die er je mit flücht i gem Blick gestreift hatte. Es konnte sein Sohn sein, es konnte irgendwer sein, und doch war dieser kleine Ju n ge etwas Besond e res. Seine Geburt brachte Agnar einen riesigen Schritt näher an den Tod im Moor. Noch ein kle i nes Br ü derchen, oder vielleicht besser zwei, zur Sicherheit, und Agnar würde seinen letzten Gang antr e ten. Während seine Hand die Decke des Ki n des z u sammenballte, stellte er sich vor, wie er sie auf das G e sicht des Säuglings drücken würde. Er konnte das Strampeln unter der Decke fühlen und er kon n te fü h len, wie er weiter die weiche Wolle auf das zappelnde Wesen drückte, bis das Stra m peln schwächer wurde und schließlich aufhörte. Der Gedanke war wie von selbst durch sein Hirn g e schossen. Er spürte geradezu das letzte Zucken des Kindes unter seinen Händen. Lange stand er reglos über die Wiege gebeugt. Wenn er dem I m puls nachgäbe, so würde das für ihn eine Schonfrist von einem oder zwei Jahren mehr bedeuten. Ein oder zwei Jahre in einem Leben, an dem ihm o h n e hin wenig lag. Langsam schüttelte er den Kopf, der Kleine hatte nichts von ihm zu befürchten. Agnar mus s te die Menschen seines Stammes von se i ner gefäh r lichen Nähe befreien oder noch wichtiger, er musste sich selbst von ihnen befreien. Er würde den Tod als eine Erlösung begrüßen und ihn nicht noch we i ter hinau s zögern.
Seine Augen, die blicklos ins Leere gestarrt hatten, ric h teten sich wieder auf das Kind. Dieses hatte zwische n zeitlich von seinen Haarsträhnen abgela s sen und ve r suchte mit rudernden Bewegungen se i ner ausgestrec k ten Ärmchen die goldenen Armringe seines Vaters zu erh a schen. Agnar lächelte mitleidig und rückte seinen Arm so zurecht, dass das Kind die glänze n den Schmuckstücke erreichen konnte, die es auch schnap p te und mit erstaunlicher Kraft festhielt. Vorsichtig en t wand Agnar sich nach ku r zer Zeit dem hartnäckigen Griff des Kleinen und richtete sich auf, um den Wagen zu verlassen. Da trafen sich seine Blicke mit denen der A m me, und ungehalten fragte er sich, wie lange sie ihn schon beobachtet hatte. Barsch fuhr er sie an, demütig blickte sie zur Seite. Doch Agnar war froh, ein Ve n til für seine Anspannung zu h a ben. Mit einem r a schen Schritt trat er an ihr Lager und zog sie an ihren Haaren nach oben. Er beugte sich zu ihr hi n unter und herrsc h te sie leise, aber umso bedrohl i cher, an: „Kein Wort zu niemandem! Oder ich we
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