Der Kinderdieb
auch das Messer los. Peter griff nach dem Messer und schwang es unkontrolliert. Ulfger wich zurück, und im nächsten Moment hielt er sein Schwert in der Hand. Die beiden Elfen stellen sich mit kampfbereiten Messern links und rechts von ihm auf.
Ulfger schüttelte sich das Blut vom Daumen und starrte Peter finster an. »Genug gespielt.«
Peter warf sein Messer. Die Klinge prallte, ohne Schaden anzurichten, von Ulfgers Schulter ab, doch Peter hatte sich eine bitter benötigte Sekunde erkauft. Er sprang zur Kante der Böschung, ließ sich hinabrutschen, rollte sich in den Graben und kam schließlich in Schlamm und Schilfgras zum Liegen. Er schaute hoch und sah, wie die Elfen ihm nachschlitterten, Ulfger hinterdrein.
Peter platschte durchs Schilfgras, mühte sich zwischen den hohen grauen Stängeln hindurch und verschwand im Gewirr von Bewuchs und seichten schwarzen Tümpeln. Er stieß immer weiter vor, bis er Ulfgers Fluchen nicht mehr hören konnte.
Der Nebel wurde dichter, und Peter fragte sich langsam, ob er auf dem richtigen Weg war. Er hatte sich tatsächlich sehr geschickt dabei angestellt, zu verschwinden, so geschickt, dass er selbst nicht mehr wusste, wo er war. Er blieb in Bewegung, und sein Orientierungssinn zahlte sich aus, als das Gelände sich langsam veränderte. Der Boden wurde grau und fest und das Schilfgras weniger dicht. Doch dafür wurde der Nebel immer dichter, und bald war Peter ringsum von wirbelnden Dunstschwaden umgeben, sodass er nicht mehr als zwanzig Schritt in jede Richtung sehen konnte. Er fürchtete, dass er für immer verloren sein würde, wenn er auch nur einen weiteren Schritt machte.
Sein Schädel brummte. Seine Stirn war wund und geschwollen, dort, wo Ulfger ihn geschlagen hatte. Bei jedem Atemzug verspürte er einen Stich in der Seite. Behutsam betastete er seine Rippen, zuckte zusammen und fragte sich, ob sie gebrochen waren. Er hatte das Gefühl, dass der Nebel sich immer dichter um ihn zusammenzog, ihn erstickte. Er schloss die Augen, um sich zu beruhigen und sich zu überlegen, was er tun sollte, da fiel ihm plötzlich ein vertrauter Geruch auf. Er atmete tief ein. Eine Ahnung von Geißblatt und Teichwasser.
Die Dame?
Peter spürte eine leichte Wärme an der Brust und öffnete die Augen. Der Anhänger – Mabons Stern – fing an zu leuchten, und Peter bemerkte ein schwaches Schimmern weiter vorne im Nebel. Er ging näher heran. Vor ihm glitzerte Goldstaub knapp über der feuchten grauen Erde, wiegte sich leicht im Wind und trieb wie ein träger Bach dahin. Peter erinnerte sich, dass die Dame von ihrem Nebel gesprochen hatte.
Ist das ihr Werk?
, fragte er sich. Er folgte dem Pfad aus Gold.
Peter stellte fest, dass sein Herz von Gedanken an die Dame erfüllt war. Einmal hätte er schwören können, dass er ein entferntes Echo ihrer Stimme hörte, die einen Namen rief – aber nicht seinen, sondern
Mabons
.
Wie oft hatte er sich zum Garten der Dame geschlichen? Wie oft hatte er sich in der Nähe von Avallachs Schrein verborgen in der Hoffnung, nur einen kurzen Blick auf sie zu erhaschen? Und in all den Jahren hatte er sie nur ein einziges Mal gesehen, auf dem Hof, wo sie mit Hiisi geredet und gelacht hatte. Bei ihrem Lachen hatte Peter gelächelt, während ihm gleichzeitig die Tränen übers Gesicht geströmt waren. Sein Wunsch, in ihrer Nähe zu sein, war so unermesslich groß, dass es ihm körperliche Schmerzen bereitete.
Langsam lichtete der Nebel sich, und Peter hörte das Lecken von Wellen und roch zum ersten Mal das Meer. Die graue Erde und der Nebel wichen einem nieseligen, kieselsteinübersäten Strand. Peter stand vor einem Felshang, auf dessen Kamm dürre Fichten und Kiefern wuchsen. Er bemerkte keine Spur von tropischer Üppigkeit, kein Anzeichen von Feenwesen, gleich welcher Art. Die Luft hier war kalt und feucht, und scharfe Gerüche bissen ihm in die Nasenschleimhäute. Er hörte seltsame Vogelrufe. Dennoch kam ihm all das irgendwie bekannt vor, und ihm dämmerte, wo er sich befand. Er verspürte ein Schaudern, das nicht vom rauen Wind herrührte. Da begriff er, dass er zurück in der Welt der Menschlinge war.
Peter kletterte auf den Kamm des Felshangs und blickte nach unten. Der wogende Nebel krallte sich an den Strand und offenbarte kein Anzeichen von dem magischen Königreich, das sich in seinem Innern befand. Peters erster Impuls war es, in den Nebel der Dame und in die Sicherheit der Wälder Avalons zurückzukehren. Er schüttelte den Kopf und
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