Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
Vom Netzwerk:
schätzte, dass es an die fünfzig Leichen waren, und alle, die er sehen konnte, waren enthauptet worden. Ein Krähenschwarm krächzte und pickte sich die schönsten Leckerbissen heraus. Er hörte erneut Tanngnosts Stimme, die ihm sagte, dass er sofort verschwinden solle, aber Tanngnost hatte ihm auch gesagt, dass seine Neugier sein Verderben sein werde. Peter lächelte beim Gedanken an den besorgten alten Troll, stand auf und ging in Richtung Dorf.
    Geduckt schlich der Junge am Graben entlang und hielt sich im Schatten. Er huschte an einer ausgebrannten Scheune vorbei, von der nur mehr ein schwarzes Gerippe geblieben war, und stieß auf drei Wölfe, die von der Leiche einer Frau fraßen. Ihr hervortretender Bauch war aufgeschlitzt, und die Tiere schlangen mit feuchten Schnauzen ihre Eingeweide heraus. Als Peter sich näherte, hoben sie die Köpfe und bedachten ihn mit einem warnenden Knurren. Aus einem Wolfskiefer hing das Bein eines Säuglings. Peter schlug einen weiten Bogen um die Tiere und setzte seinen Weg ins Dorf fort.
    Die meisten Gebäude waren niedergebrannt. Hier und dort schwelten noch ein paar Balken vor sich hin. Abgesehen vom entfernten Krächzen der Krähen lag das Dorf still und reglos da.
    Peter huschte in die verbrannten Überreste eines Stalls, kauerte sich in die Schatten und ließ den Blick zwischen den Brettern hindurch über den Ort schweifen.
    In der Mitte des Dorfplatzes stand ein hohes Kreuz aus frischgeschlagenen Stämmen. An den Streben hing ein Mann, dem ein Seil straff um den Hals und bis zu den Achseln hoch um die Brust geschlungen war. Man hatte ihm große Eisennägel in Hände und Füße getrieben, und er trug eine lange Robe, die mit Bildern von umhertänzelnden Tieren und verschlungenen Sonnen-, Mond- und Sternensymbolen verziert war. Vorne hatte jemand die Robe aufgeschlitzt, und dicke Streifen geronnenen Bluts klebten an der Innenseite seiner Beine. Am Boden hatte sich eine dunkle Pfütze gebildet.
    Peter sah, dass sie dem Mann die Genitalien abgehackt und in den Mund gestopft hatten. Nicht weniger als dreißig Köpfe hingen an dem Kreuz, Männer, Frauen und Kinder. In den langen Schatten hatte Peter den Eindruck, dass mehrere davon ihn anstarrten und jeden Moment zu sprechen beginnen könnten. Ihm gefiel dieses Gefühl überhaupt nicht, so wie ihm ohnehin nichts an diesem Ort gefiel. Er kam zu dem Schluss, dass es hier letztlich nichts für ihn zu entdecken gab und dass es an der Zeit war, zu verschwinden. Doch dann hörte er schweren Hufschlag, der in seine Richtung kam, und die tiefen Stimmen von Menschenmännern, und er kauerte sich wieder in sein Versteck.
    Zwei Männer, die ein Kaltblut am Zügel führten, kamen in Sicht. Das Pferd zog eine Reihe aneinandergebundener Kinder hinter sich her. Die Männer trugen Kettenhemden unter einheitlichen blauen Tuniken mit weißen Kreuzen auf der Brust. An ihren Gürteln hingen Kurzschwerter. Peter zählte acht Kinder, größtenteils ältere. Die Hände waren ihnen auf den Rücken gefesselt, und ein langes Seil lag um ihre Hälse. Sie waren mit Ruß und Schlamm bedeckt, und mehrere hatten Verletzungen und bluteten aus hässlichen Wunden. Der Blick ihrer Augen war mutlos und gehetzt. Es waren die Augen von Kindern, die zu viel gesehen hatten.
    »Ah, da bist du ja«, ertönte die Stimme eines Mannes vonirgendwo hinter Peter. Zwei weitere Soldaten kamen aus dem Wald und hielten direkt auf sein Versteck zu. Peter hatte das sichere Gefühl, dass sie ihn meinten, weshalb er erstarrte und es nicht einmal wagte, zu atmen. Doch die beiden trampelten direkt an ihm vorbei. Sie hatten ein Mädchen zwischen sich. Sie war hochgewachsen und hatte lange Beine, trotzdem war sie eindeutig noch nicht erwachsen. Sie trug ein einfaches, schlammbespritztes rosenfarbenes Kleid, dessen einer Ärmel abgerissen war. Die beiden Männer schubsten sie grob vor sich her und gesellten sich zu den Leuten mit dem Pferd.
    »Wir haben ein paar gefunden, die sich auf dem Hügel versteckt haben«, sagte einer der Soldaten. Er war gedrungen und kahlköpfig, und eines seiner Beine war kürzer als das andere, was ihn sichtlich hinken ließ. »Die anderen sind davongekommen, aber die, die wir wollten, haben wir alle erwischt.« Der Mann grinste.
    Die anderen beiden Soldaten taxierten das hochgewachsene Mädchen und erwiderten das Grinsen. Ein drahtiger Mann mit einer schwarzen Kappe und zahnlosem Mund sagte: »Ein kleines Spielchen, während wir auf den Baron warten, kann

Weitere Kostenlose Bücher